Schicksalsstöcke

Gastbeitrag: Wie „Der Kleine Vampir“ meine Liebe zu Fantasy-Literatur erweckte von Felicity Green

Meine Tochter wird bald 3 und geht momentan gerade sehr in der Welt ihrer aktuellen Lieblingsbücher auf. In denen geht es um Drachen und sie hat ihren imaginären Freund, den großen Drachen Elliott, immer dabei. Sie ist selber auch abwechselnd mal gerne „Piet“, der Junge aus „Elliott, das Schmunzelmonster“ oder gar der kleine Drache Kokosnuss, aus der gleichnamigen Reihe. Wir müssen sie dann auch so nennen, und wir sowie ihre Puppen und Kuscheltiere übernehmen den Part der anderen Figuren aus der Kokosnuss-Welt.
Es ist manchmal beängstigend, wie real diese Welt dann für sie ist, und es gibt auch die Meinung, dass Kinder unter sechs gar keine Fantasy lesen sollten, sondern nur Bücher, die Realität abbilden. Ich habe letztens einen Artikel für meinen Mama-Blog dazu geschrieben. Obwohl ich nachvollziehen kann, dass für ganz kleine Kinder Bücher, die ihre täglichen Lebensabläufe und „ihre Welt“ abbilden, hilfreich sind, ist mein Artikel doch ein Plädoyer dafür, mit Kindern Fantasy-Bücher zu lesen, wenn sie sich für diese interessieren. Einerseits hat es natürlich mit Nostalgie zu tun. Als absoluter Bücherfan kann ich es kaum abwarten, mit meiner Tochter all die Klassiker mit fantastischen Elementen zu lesen, die ich selber als Kind geliebt habe.
Und finde ich es schlimm, dass sie Realität von Fantasie nicht unterscheiden kann und wahrscheinlich wirklich glaubt, dass es Drachen gibt und Fledermäuse reden können? Nein, denn bis zum gewissen Grade gefällt mir das. Im Augenblick ist doch für sie alles ein Wunder, alles ist fantastisch, alles ist möglich. Schön, wenn man sich so etwas erhalten kann, oder? Alles, was wir heute als wissenschaftlich belegbare Realität empfinden, war doch einmal „fantastisch“. Soll ihr dieses Vorstellungsvermögen und diese Kreativität erhalten bleiben!
Ich selber war als Kind genauso. Ich liebte Bücher und die fantastischen Welten, in die sie mich entführten. Ja, Märchen haben mir manchmal Albträume bereitet. Manche Geschichten haben mich so in den Bann gezogen, dass sie mich unheimlich beschäftigten. Hätten mich meine Eltern davor beschützen sollen? Vielleicht, aber dann hätte ich auch diese Kraft nicht kennengelernt, die diesen eindrücklichen Geschichten innewohnt, und das unglaubliche Potenzial, das Geschichten haben, nicht schon in frühester Kindheit erkannt und lieben gelernt. Womöglich hätte ich es mir dann nicht zur Berufung gemacht, solche Geschichten zu erzählen.

Kinder lieben Geschichten. (Quelle: Pixabay)

Der Kleine Vampir

Ich glaube, dass eine Buchreihe mich ganz besonders beeinflusst hat, vielleicht sogar so sehr, dass ich heute als Schriftstellerin im Genre Fantasy beheimatet bin: „Der Kleine Vampir“ von Angela Sommer-Bodenburg.
In der Serie freundet sich der Menschenjunge Anton Bohnsack mit dem über hundert Jahre alten Vampirjungen Rüdiger von Schlotterstein und auch dessen kleinen Schwester Anna an. Die Abenteuer, die Anton dank seiner neuen Freunde überstehen muss und bei denen er auch des Öfteren haarscharf entkommt, von einem Mitglied der Vampirfamilie von Schlotterstein gebissen zu werden, sind charakterbildend und im Laufe der Zeit wird er immer mutiger. Die Bücher behandeln allerlei Probleme, die eine solche Freundschaft zwischen in so unterschiedlichen Welten beheimateten Kindern mit sich bringt.
Als ich diese Serie gelesen habe, war ich natürlich schon etwas älter als meine Tochter jetzt, in der 2. oder 3. Klasse. Die Bücher sind für Kinder ab 6 Jahren geeignet. Ich konnte zwischen Realität und Fantasy unterscheiden. Aber trotzdem kann ich mich erinnern, folgende verrückte Sachen gemacht zu haben:

Wie mich „Der Kleine Vampir“ infiziert hat

Ich habe „geübt“, im (Halb-)Dunkeln zu Lesen, wie es Vampire in den Büchern können, und mir damit wahrscheinlich meine Augen verdorben.

Ein Kinderbuchklassiker: Der Kleine Vampir (Angela Sommer-Bodenburg, Rowohlt Verlag)

Eines Tages in der Schule, meine Mitschüler: „Ihh, was stinkt denn hier so?“
Ich: „Ach, das ist die Zwiebel.“
Die: „Welche Zwiebel?“
Ich: (hole besagte, leicht vermoderte Zwiebel aus meinem Scout-Schulranzen) : „Die da!“
Die: „Warum hast du die da drin?“
Ich: „Wegen den Vampiren.“

Verständnislose Gesichter. Nicht erklärbare Logik: Vampire haben was gegen Knoblauch. Da aber meine Mutter kulinarisch nicht so bewandert war und Knoblauch in ihren Augen zu den eher exotischen, also nicht in ihrer Küche anzufindenden Gewürzen gehörte, war das Nächstbeste, das ich daheim fand, eben eine Zwiebel. Warum ich die herumtragen wollte, wo ich doch SELBER ein Vampir sein wollte, lässt sich rückblickend nicht nachvollziehen.

Wenn meine Freundinnen Sabrina und Miriam bei mir zu Besuch waren, wurde Vampir gespielt, ob sie wollten oder nicht. Miriam und ich waren immer etwas neidisch auf Sabrina, weil die so einen schönen, langen, schlanken Hals hatte. Das war irgendwie vampiriger – also wahrscheinlich einladender für einen Vampir, der uns verwandeln sollte.

Ich hatte sogar einen Sarg zu Hause. Das war eine Holztruhe, die heute ihr Dasein als Geschenkpapiertruhe frönt. Damals hatte ich aber zum Leidwesen meiner Mutter alles ausgeräumt, was drin war, und meinen Sarg mit schwarzem Stoff ausgekleidet. Ich kann mich aber schon daran erinnern, dass ich nur im Spiel mit anderen in den Sarg geklettert bin, und selbst dann mit klopfendem Herzen. Ich hatte nämlich schon Angst, den Deckel nicht mehr wieder aufzukriegen und zu ersticken. Aber um seine Vampir-Träume zu realisieren, nimmt man wohl einiges auf sich.

In diesem Sarg bewahrte ich auch meine „Anna“-Schuhe auf. Ich war sehr stolz auf diese klobigen Schuhe mit Schnalle und dicken Absätzen, die genauso aussahen wie im Buch beschrieben.

Nach wie vor beliebt: Der Kleine Vampir (Angela Sommer-Bodenburg, Rowohlt Verlag)
Was mich am „Keinen Vampir“ so fasziniert hat

Die Vampirkinder waren recht auf sich gestellt. Rüdiger wurde sogar dafür verstoßen, dass er mit einem Menschen Kontakt hat und musste bei Anton im Keller leben. Für die Vampirkinder war das nicht immer so toll und sie sehnten sich nach einer Familie. Aber für mich war der Gedanke sehr ansprechend. Nachts unbeaufsichtigt herumzufliegen? Niemand, der mir sagte, was ich zu tun und zu lassen hatte? Diese Freiheit, irgendwie was Verbotenes zu tun – und sogar etwas „Verbotenes“ zu sein, an das Erwachsene nicht glaubten, hat mich fasziniert.

Dann natürlich überhaupt etwas anderes zu kennen, eine Welt zu kennen, von der viele nichts wussten oder an die sie nicht glaubten – oder gar zu dieser Welt zu gehören! Dieser Aspekt reizt sicher auch heute noch Leser/innen von Urban Fantasy, wo das fantastische Element in unserer Welt beheimatet ist. Natürlich habe ich mir gerne vorgestellt, Anna zu sein. Ich hielt sie, glaube ich, immer für die Hauptfigur, und erst jetzt, als ich als Erwachsene noch mal in die Beschreibung der Serie reingeschaut habe, wurde mir ins Bewusstsein gerufen, dass es ja um Antons Freundschaft mit Rüdiger ging, den ich ehrlich gesagt nicht unbedingt immer so toll fand. Aber Anna war ja auch – gerade am Anfang – „Vampir light“. Sie hatte keine Zähne und trank kein Blut, sondern Milch. Und sie war von all den andersartigen Vampiren am „Normalsten“ . Aber die Hauptfigur ist schließlich Anton, der sich immer auf der Grenze zwischen den Welten befindet. Wie viele der Protagonisten in den Büchern, die ich jetzt schreibe!

Tor in die Welt der Literatur: Kinderbücher (Angela Sommer-Bodenburg, Rowohlt Verlag)

Unheimlich spannend und kreativ fand ich immer schon, fiktive Probleme zu lösen. Die Vampire in Sommer-Bodenburgs Romanen haben zum Beispiel spezielle Regenhäute, damit sie beim Fliegen im Regen geschützt sind. Solche kleinen Erfindungen geben mir heute noch beim Lesen und Schreiben von Fantasy einen Kick. Euch auch?

Unsterblich und immer ein Kind sein zu können, war natürlich auch ansprechend, wenn auch etwas beängstigend. Erwachsenwerden wollte wohl jeder, aber gleichzeitig reizt auch, für immer diese imaginäre „Narrenfreiheit“ zu haben, die Kinder genießen.

Anton erlebt ganz schön furchterregende, spannende Abenteuer. Immer wieder muss er seine Ängste überwinden, sich ihnen stellen. Er wird dadurch mutiger, genauso mutig, wie wir als Leser/innen es gerne sein würden. Nach der Furcht und deren Überwindung kommt die Erleichterung. Die Geschichte hat ein Ende und der Held am Ende doch noch alles zum Guten gewendet. Anton ist zu Hause, im sicheren Schoße seiner menschlichen Familie. Und wir Geschichtenleser können das Buch zuklappen und sind wieder in unserer Welt.

Rückblickend kann ich auch sehen, dass die Vampirkinder sich ihre Werte auch selber erarbeiten und bewusst für sie entscheiden konnten. Vampire sind schließlich blutrünstige Monster. Sie sind von Natur aus Unmoralisch und Böse. Oftmals wird dieses Dunkle, Unmoralische in den Zusammenhang mit Sex gebracht, wenn heute darüber schwadroniert wird, warum Vampire offensichtlich so faszinierend sind. Ich glaube es steckt mehr dahinter. Gerade für Kinder, die von ihren Erwachsenen immer wieder gesagt bekommen, was sich gehört und was nicht, ist es spannend, sich seine Werte selber zu erarbeiten. Selber herauszufinden, was richtig und falsch ist. So sind es eben oft diese „Vampire light“, die in Kinder- und Jugendliteratur auftauchen und so beliebt sind.

Ein Hoch auf die „magische Phase“

Mit Phantastik in Filmen und Büchern erhalten wir uns diese magische Phase, die meine Tochter gerade erlebt, ein wenig. Wir können uns in der Fantasy-Welt verlieren, auch mal etwas sein, was es nicht gibt. Wir können verrückte, andersartige, „unnormale“ Sache tun, um auszuprobieren, was für uns normal und richtig sein sollte, so wie wir es als Kinder taten. Wir können uns diese Narrenfreiheit erlauben. Letzten Endes sind mythische Kreaturen, andersartige Welten und Allegorien so alt wie Geschichtenerzählen – und die Menschheit selbst. Die Fantasie steht immer vor der Realität, denn sie macht das, was wir als Realität kennen, überhaupt erst möglich. Wir müssen das Vorstellungsvermögen an das Unmögliche haben, damit es einmal möglich wird. Gleichzeitig erleben wir, lernen wir über, und verarbeiten wir uns und unsere Realität durch Fantasy. Das gilt für Kinder wie auch für Erwachsene.

Machen die Welt magischer: Bücher (Angela Sommer-Bodenburg, Rowohlt Verlag)

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Diandra
5 Jahre zuvor

Pah … wenn es Kinderbibeln gibt, sollten Kinder auch Fantasy lesen. Und uns hat es schließlich auch nicht geschadet. ^^

(Setzt sich ihren Hexenhut auf und springt wieder auf ihren Besen, um in die Mittagspause zu reiten.)