Eine gefrorene Seifenblase im Regenbogennebel. Oben rechts die Schrift "Rauhnächte bunte Geschichten zwischen Eis und Dunkelheit"
Schicksalsstöcke

Rauhnächte: 2. Rauhnacht Grün

Seifenblase mit Regebogenfarben, "Rauhnächte- Bunte Geschichten zwischen Eis und Dunkelheit" Rauhnacht 2
Grafik: Jana Jeworreck

Zukunftshoffnungen

Der Wind flüsterte ihm zu, dass Galdur sich näherte.

Kíran spannte seinen Körper an und lauschte. Dem Zwitschern der Vögel, dem Rauschen der Blätter im Wind und dem Flügelschlag des anderen Walkürs. Er war leise, das musste Kíran ihm zugutehalten. Nicht, dass es ihm etwas nützte.

Seine Finger streiften leicht den Dolch, der an seiner Hüfte baumelte. Der Krieger war nur noch wenige Flügelschläge entfernt.

Kíran war bereit, zuzuschlagen. Sein Herz schlug schneller vor Aufregung, während sich der Andere näherte. Leise, so wie die Göttin Ruana auf der Jagd. Darauf bedacht, sein Opfer in Sicherheit zu wiegen.

Als eine Krähe schrie, zog Kiran in Windeseile den Dolch und zielte mit diesem auf den Hals des Anderen.

„Hallo, mein Schwert!“, begrüßte er seinen Partner, während der Griff seines Dolchs sich in Galdurs Hals drückte. Kíran wusste sich zu verteidigen, so wie jede andere Walküre auch, hatte er es von klein auf gelernt. Doch im Gegensatz zu den meisten anderen der Walkürenspezies – benannt nach den mythischen Wesen der alten Welt –, zog Kíran die Defensive statt dem Angriff vor.

Galdur behauptete oft, dass gerade das ihn zu einem gefährlichen Gegner machen würde. Wenn man ihn also soweit reizte, dass er selbst angriff, würden seine Widersacher ihr blaues Wunder erleben.

Nun schwebte Galdur mit weit gespreizten, braunen Federflügeln über ihm. Er hielt sein Schwert mit beiden Händen fest. Bereit zuzuschlagen, würde Kíran den Dolch nicht gegen seine Halsschlagader gedrückt halten.

„Wie machst du das nur, mein Schild?“, fragte er und schob den Zweihänder zurück.

Gleichzeitig senkte Kíran seinen Dolch. „Der Wind hat mir schon vor Meilen zugeflüstert, dass du dich näherst.“

Galdur legte sich neben ihn ins Gras und strich ihm dann durch das violette Haar. „Irgendwann werde ich es schaffen.“

Er drehte seinen Kopf zur Seite, um Galdur besser ansehen zu können. Die tannengrünen Augen blickten ihm zärtlich entgegen. Grün war keine außergewöhnliche Augenfarbe für Walküren, doch Galdurs waren mit Abstand die Schönsten. „Gib nicht auf“, sprach er ihm zu. Aber sie wussten beide, dass Galdur nicht aufgeben würde. Er war nun einmal eine Kämpfernatur.

Es war Galdur eines Tages aufgefallen, dass sie sich dem Anderen nicht nähern konnte, ohne dass dieser es bemerkte. Galdur war überzeugt, dass er Kíran irgendwie überraschen konnte. Doch trotz der zahlreichen Versuche war es ihm bisher kein einziges Mal gelungen.

Ihre beste Freundin, Tyara, meinte, dass sie in ihrem früheren Leben sie ein und dieselbe Seele gewesen wären und deshalb immer die Gegenwart des Anderen spürten.

„Also, was machst du hier?“, fragte Galdur. „Ich reise morgen ab und dachte eigentlich, du würdest die letzten Stunden mit mir verbringen wollen.“

Kíran ließ sich Zeit mit seiner Antwort, rutschte näher an seinen Partner und genoss die Körperwärme, die dieser immer ausstrahlte.

Schon bald würde es Winter sein und die grüne Landschaft von einer weißen Schneedecke bedeckt. Er wollte die letzten Momente draußen genießen. So sehr Kíran die Natur auch liebte, dem kalten und trostlosen Winter konnte er nichts abgewinnen.

Und jetzt, wo sie beiden der SkyGuard beigetreten waren, hatte Kíran noch weniger Grund, sich auf den Winter zu freuen. Dann würde auch das letzte Grün von diesem Ort verschwinden.

„Ich wusste, dass du mich hier findest“, erwiderte er schließlich. „Dieser Ort hier erinnert mich an dich.“

„Du weißt, dass ich nicht vom Angesicht Al‘phas verschwinde?“, fragte Galdur ihn und kraulte dann das Gefieder um Kírans Ohr. „Wir bleiben in Kontakt. Nichts hindert dich daran, mir täglich zu schreiben. Ich würde mich freuen, jeden Tag einen Brief von dir zu erhalten.“

Kíran blickte Galdur nachdenklich an. Wange und Kinn zierten die ersten Bartstoppeln und das schwarze Haar war inzwischen schulterlang, sodass Galdur es zu einem kleinen Pferdeschwanz zusammenbinden konnte. Ob er vorhatte, sein Haar lang wachsen zu lassen? Kíran würde ihn nur zu gerne mit langen Haaren sehen.

Vielleicht, wenn sie sich wiedersahen.

Nur noch wenige Stunden, die sie zusammen verbringen würden. Morgen früh reiste Galdur ab. Kíran würde hierbleiben. Sie würden beide unterschiedliche Wege einschlagen und sich für Wochen, vielleicht sogar Monate nicht sehen. Sie wussten beide nicht, was sie erwartete. Und was sein würde, wenn sie sich wiedersahen.

Welche Freundschaften sie schließen und welche neuen Feindschaften entstehen würden. Wie sie sich selbst verändern würden. Mit welchen Narben sie zurückkehren würden. Und ob es etwas an ihren Gefühlen zueinander ändern würde.

„Liebster, sieh mich an!“ Galdur griff nach seiner Hand. „Ich werde immer zu dir zurückkommen, egal was geschieht.“

Galdurs grüne Augen sahen ihn an, während er ihm einen Kuss auf den Mund drückte. „Wenn wir beide ein Kind hätten, würde es dann eher deine oder meine Augen haben?“

Kíran blickte ihn überrumpelt an. Sie hatten darüber gesprochen. Über den Kinderwunsch. Aber Galdur wollte zuerst Karriere machen. „Warum willst du das wissen?“

„Beantworte die Frage, Schatz!“

„Deine“, erwiderte Kíran ohne Nachzudenken. Abgesehen davon, dass Galdurs Augen die Schönsten waren, wollte er keinem Kind seine Kurzsichtigkeit antun.

„So wie die Farbe deiner Magie?“

„So wie deine Augen.“

Galdur setzte sich auf. „Zaubere etwas für mich“, bat er. „Du weißt, ich liebe es, wenn du zauberst.“

Verwundert murmelte er leise die Zauberformel, die aus dem Gras eine Orchidee wachsen ließ. Mit hellgrünen Kelchblüten, während das größte Kronblatt weiß mit violetten Tupfern war. Ihre Lieblingsblume. Ein grünlich schimmerndes Licht umgab dabei seine Hände.

„Wusstest du, dass Schwüre auf magische Pflanzen ewigbindend sind?“, fragte Galdur.

„Alles nur Aberglaube.“

„Möglich. Trotzdem mag ich die Idee“, erklärte Galdur und Kíran unterdrückte ein Augenrollen. Galdur war ein hoffnungsloser Romantiker. Nun verhakte er seinen kleinen Finger mit dem Kírans.

„Ich, Galdur Liamsson, schwöre auf diese magische Orchidee, dass ich dich, Kíran Freysson, niemals verlassen werde. Du bist der Mann, mit dem ich einmal eine Familie gründen und alt werden will. Und solange du es zulässt, werde ich immer bei dir sein.“

War es Einbildung oder hatte die Blume gerade tatsächlich aufgeleuchtet?

„Du weißt nicht, was die Zukunft bringen wird.“

„Aber ich weiß, dass meine Zukunft an deiner Seite ist. Und solange du mich liebst, werde ich die Hoffnung nie aufgeben, dass unsere Zukunft strahlend wird.“

Ein Artikel von: Charley Queen

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