Schicksalsstöcke

Der Fall „Sansa“ von Jana Jeworreck

Dieser Beitrag ist Teil unserer Blogparade „Fantasy und Gewalt“

Ich** bin ein riesiger Fan von der TV-Serie Game of Thrones. Nicht, dass das etwas Besonderes wäre. Die halbe Welt ist Fan von Game of Thrones.

Doch ich muss gestehen, dass mich die dargestellte Gewalt zum Teil an den Punkt brachte, an dem ich ernsthaft überlegte, ob ich diese Auswüchse von Brutalität und Folter wirklich weitergucken will. (Ich schreib es jetzt mal für diejenigen, die es möglicherweise tatsächlich noch nicht kennen: Achtung Spoiler voraus!)

In Game of Thrones wird Jedem Gewalt angetan. Psychische und Physische. Männern ebenso wie Frauen. Jaime Lannister verliert seine rechte Hand, Theon Greyjoy verliert Finger, seinen Penis und fast seinen Verstand. Die meisten Männer verlieren ihr Leben, mal mehr, mal weniger grausam. Die Gewalt gegen Frauen scheint daher ja gerechtfertigt, oder? Das ist ebenso in der dargestellten mittelalterlichen oder besser antiquierten Zeit. Und da es ja zwei wunderschöne Königinnen gibt, die das große Spiel (the great game) mitspielen, ist die Genderbalance doch wiederhergestellt, oder? Und eine davon strebt sogar danach, das Rad der Machtkämpfe zu brechen!

Der Fall Sansa in GoT (Foto: Karen_Nadine / pixabay.de)
Und dann kam der Fall von Sansas Vergewaltigung in der Hochzeitsnacht!

Der Bösewicht Ramsey war bereits in seinem vollen sadistischen Spektrum bekannt gemacht worden. Schon bei seiner entsetzlichen Folter von Theon Greyjoy war meine persönliche Gewaltgrenze überschritten. Trotzdem hoffte ich, wie vielleicht viele weitere Zuschauer, bis zum Schluss, dass Sansa das große Machtspiel zumindest körperlich unversehrt übersteht. Die gnadenlose Zerstörung dieser Hoffnung war für viele ein Schock. Es ist allerdings das Markenzeichen der Show und auch der Buchvorlage. No one is safe.
Die Vergewaltigung wurde nicht gezeigt. Nur durch die Reaktionen des selbst vollkommen gebrochenen Theon wurde die Vorstellung des Zuschauers angeregt. Es handelte sich um das Ende einer Folge und man musste eine Woche warten, bis man Weiteres über Sansas Zustand erfuhr.
Das war auch für mich eine Tortur und das zweite Mal, an dem ich überlegte GoT nicht weiterzusehen. In meiner emotionalen Aufruhr suchte ich Chats auf, in denen dieses schreckliche – man bedenke fiktionale – Ereignis diskutiert wurde. Es schlug hohe Wellen in den sozialen Medien.

Ich wurde fündig und las meine eigenen Gedanken in anderen Posts. „Es war so schlimm!“ „Kill Ramsey“ etc etc. Besonders Männer echauffierten sich, über das, was man dieser „zarten wunderschönen Sansa“ angetan hatte und sie schworen, sich auf allerlei Arten an Ramsey dafür zu rächen. (Hallo? Das ist Fiktion! Ich machte mir Sorgen um den Ramsey-Darsteller …)
Ohne zu ahnen, wie lange mich das noch beschäftigen würde, las ich darunter ein Argument, das in etwa so lautete: „Naja, nur weil Sansa so schön und einer der Hauptcharaktere ist, soll sie verschont werden? In GoT werden pausenlos namen- und gesichtslose Frauen vergewaltigt und bestialisch getötet.“ Der saß!

Kein Name, kein Gesicht – GoT und die Frauen (Foto: joseph_Berardi / pixabay.de)
Namen- und gesichtslose Frauen.

Die Welt ist voller namen – und gesichtsloser Frauen! Jene, die nicht so „zart“,„schön“, „begehrenswert“ und damit „beschützenswert“ sind, wie von der wirklich wunderschönen Sophie Turner dargestellten Sansa. Was ist mit diesen Frauen? Für deren Schutz stehen keine „Helden“ bereit? Und ist es nicht schlimm, dass überhaupt ein „Schutz“ nötig ist?

Und damit sind wir in der echten Welt angekommen. Jener Welt, in der eben nicht alle Frauen als Sansa angesehen werden, obwohl alle Frauen Sansa sind! Ja! Alle Frauen sind Sansas. Auf ihre Weise schön und zart. Und es ist dabei völlig egal, wie der Mann das sieht.
Sein „Urteil“ (ist er Richter? Was befähigt ihn dazu?), aus dem er sich das „Recht“ ableitet, Gewalt und körperliche Macht auszuüben, wie der (Pseudo und vor allem sich selbst darstellende-)Produzent Weinstein, entspricht nach wie vor dem Verhalten von Primaten! Das Ausleben von tierischen Instinkten und ohne Impulskontrolle! Besonders bei solchen, die in künstlerischen (da kann man bei Hollywood drüber streiten) Betrieben tätig sind, die sich liberale, freidenkende und visionäre Ziele auf die Fahnen schreiben, ist es besonders schlimm, obwohl es für eine übergriffiges Verhalten niemals eine echte Rechtfertigung gibt.

Angesicht der langen und nach wie vor anhaltenden weltweiten Unterdrückung von Frauen, scheint der Weg zur respektvollen Gleichberechtigung und Selbstbestimmtheit eine Never Ending Story zu werden. Leider keine zauberhafte, wie die von Michael Ende.

Wir sind alle Sansa!

** Autorin des Beitrags ist Jana Jeworreck alias Moira

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