Goldene Schreibfeder, die eine Reihe Sterne hinter sich her zieht
Messeberichte

Transkript unserer Talkrunde auf der LBM – Starke Frauen in der Phantastik / Teil 2

Auf der Leipziger Buchmesse konnten wir mit unserer Talkrunde zum Thema „Starke Frauen in der Phantastik“ ordentlich punkten [hier geht’s zur Tonaufnahme]. Wir freuen uns, dass nicht nur der Stand, sondern auch unsere Aussagen so toll bei euch ankamen. Zum Nachlesen und für alle, die nicht dabei waren, gibt es jetzt auch das Transkript. Gestern erschien der erste Teil bei Nora Bendzko, die sich die Arbeit gemacht hat, die Talkrunde zu verschriftlichen, hier folgt nun der zweite Teil:

Unsere Talkrunde auf der LBM
Stella Delaney

Ich würde dann gerne noch die andere Seite beleuchten. Wir haben jetzt die Autorinnen-Seite angeschaut, genauso unter Rollenklischees leiden aber auch die Figuren in den Geschichten, die wir schreiben in der Phantastik. Da kommt immer wieder der Ruf nach den starken weiblichen Figuren. Sei es im Film oder sei es in Serien … In Jugendbuchserien werden Frauen dann auch sehr gelobt, wenn sie dem starken weiblichen Bild entsprechen. Überraschenderweise für manche kommt dann Kritik von der Gegenseite, die sagt: »Dieses Bild der starken Frau … Ist das überhaupt gut für Frauen? Muss sich eine Frau wie ein Mann verhalten, gewalttätig sein, muss sie Kraft zeigen, Muskeln haben, damit sie als starke Frau gilt? Geht das nicht auch anders?« Man kann hier genauso über die Figuren debattieren und unsere Vorstellungen, wie die Frauen in den Geschichten sind und die Männer in den Geschichten sind. Wäre schön, wenn wir dazu noch etwas sagen könnten?

Nora Bendzko

Ich sag da gerne etwas dazu, denn ich bin eine große Kritikerin von diesem starken Frauenbild. Beziehungsweise: Ich bin Kritikerin, weil ich das Gefühl habe, es wird oft, gerade in der Fantasy, schlecht gemacht. Es ist genau das, was du gesagt hast, dass man versucht, Frauen eine Rolle besetzen zu lassen, die der typische männliche Held einnimmt. Ich finde, das ist letztendlich sehr traurig, denn es gibt schon eigene Seiten, eigene Facetten Frauenseins, die dabei komplett übergangen werden. Ich sehe kaum Protagonistinnen, die mit tatsächlichen Frauenproblematiken zu kämpfen haben, oder die sie prägen, wie zum Beispiel Schwangerschaft. Oder nehmen wir ganz normale weibliche Körperlichkeit. Was total banal ist, aber in vielen Geschichten ausgeschaltet wird, ist das Wachstum des weiblichen Körpers. Was da passiert pubertär ist eben anders als bei Männern, allein durch Menstruation.

Es ist interessant, dass so etwas so gut wie immer übergangen wird. Ich kenne da nur ganz wenige Titel von Männern, »Carrie« von Stephen King würde mir einfallen. Tendenziell ist das etwas, das immer stark ausgeblendet wird. Leute sagen sich: »Na, aber ich möchte jetzt schon für die Quote …« – oder vielleicht will ich tatsächlich fortschrittlicher sein – »Ich möchte eine Frau reinnehmen!« Letztendlich wird sich aber erstaunlich wenig damit beschäftigt. Das schreibe ich jetzt gar nicht nur männlichen Autoren zu, ich sehe das bei Autorinnen genauso, gerade im Romance. Dass viele Frauen geschrieben werden, die typische Mäuse sind, die sehr männerabhängig sind, die den Bechdel-Test nicht schaffen.

Wer den Bechdel-Test nicht kennt – ist ein typisches Filmbeispiel, kommt auch aus der Filmtheorie, glaube ich. Eine Geschichte ist dann vielleicht nicht rückständig, sagt der Bechdel-Test, wenn man mindestens zwei Frauenfiguren in der Story hat, wenn die mindestens miteinander reden und wenn sie nicht über einen Mann reden. Wendet diesen Test mal auf die Bücher an, die ihr in euren Bücherregalen stehen habt, und ihr werdet feststellen, da tut sich noch gar nicht so viel. Ich sage, das können wir besser. Wenn Leute sagen, sie wollen starke Frauenfiguren schreiben: Macht das! Wir wollen das alle haben. Also ich will es haben vor allen Dingen. Ich will Bücher davon lesen und kaufen!

Stella Delaney

Das können wir vom Netzwerk absolut unterschreiben, wie die meisten Autorinnen hier. Ich würde jetzt gerne noch mal an die Katherina weitergeben, die hat ja schon etwas gesagt, gerade im Bereich Märchen. Ich fand es sehr interessant, dass du gesagt hast, du wolltest das Märchen so schreiben, dass die Frau nicht einfach nur den Mann und das Kind bekommt, sondern dass es darüber hinausgeht.

Katherina Ushachov

Genau. Mir war wichtig, der Frau, der im Märchen systematisch die Stimme genommen wurde, die Stimme wieder zu geben. Dazu muss ich sagen, das Märchen vom Zaren Saltan ist ein Kunstmärchen. Bei den meisten Volksmärchen gilt noch die Ausrede, dass Männer und Frauenfiguren eigentlich nicht Männer und Frauen symbolisieren, sondern verschiedene Aspekte ein und derselben Persönlichkeit, die sich dann unterschiedlich auswirken. Und da muss man sagen: Nein, wenn man die feminisieren möchte, kommt Unsinn raus. Aber das Märchen, um das ich mich gekümmert habe, hat diese Ausrede nicht.

Es ist ein Kunstmärchen, verfasst von einem Mann, und so sieht man sein Bild von den Frauen. Die Frau sagt, was sie für den Mann tun will, danach nichts mehr – das ganze Märchen über. Ich wollte die Frau sprechen lassen, aus der Sicht der Frau erzählen, wie sie das Ganze erlebt, sowohl die Verliebtheit als auch die großen Tragödien, die im Rahmen von Zarin Saltan stattfinden, und auch den Mann rehabilitieren. Denn das ist ja das Nächste: Frauenfiguren sind immer Mäuschen, Männerfiguren sind immer Machos. Auch im vorliegenden Kunstmärchen. Da geht der Mann hin und sagt: »Mach mal!« Und ich wollte einen Mann, der sympathisch ist, dem man es gönnt, dass er die Frau bekommt, mit dem man mitfiebern kann und der auch Schwäche zeigen kann.

Denn sowohl das Bild des Mäuschens, das von Männern abhängig ist, als auch das Bild des Mannes, der einen auf Conan macht und alles bekommt, ist schädlich für Menschen beider und anderer Geschlechter, weil sie denken: »Aber ich bin so nicht? Muss ich denn so sein? Stimmt etwas nicht mit mir, wenn ich nicht so bin?« Und das fand ich in beide Richtungen furchtbar.

Nora Bendzko

Du hast Recht. Toll, dass du es geschrieben hast.

Stella Delaney

Es ist wirklich so, dass viele automatisch umschalten, wenn sie hören, ah, die setzen sich für Autorinnen ein, denen geht es um Frauen, und denken: »Die sind gegen Männer, Männer werden ausgeschlossen!« Solche Diskriminierungen laufen immer in beide Richtungen. Auch die Männer haben etwas von dem, was wir machen. Nebenbei: Wir haben sehr viele Männer, die mit uns sympathisieren und die bei uns auch gerne gesehen sind. Also männerfeindlich sind wir überhaupt nicht. So, dann will ich der Nike das Wort geben.

Nike Leonhard

Ich möchte noch mal kurz etwas zu den Figuren sagen, und zwar: Irgendwie reden wir immer über zwei gegensätzliche Typen. Einmal das Mäuschen und die sogenannte starke Frau, die dann ein bisschen vermännlicht wird. Typisch in historischen Romanen, aber auch in der Low Fantasy: Sie soll verheiratet werden, rennt von zuhause weg, schmeißt sich in Männerklamotten, schnallt sich ein Schwert um, erschlägt den Drachen und heiratet den Traumprinzen.

Das ist die typische Karriere der starken Frau in der Fantasy, beziehungsweise im historischen Genre. Dort erschlägt sie keine Drachen, sondern macht etwas anderes Heldenhaftes, rettet mindestens eine Stadt oder den Königssohn und heiratet ihn dann. Also rollenverkehrt, aber mir fehlen da die Zwischentöne. Für mich ist eine Frau nicht deswegen stark, weil sie jetzt, wie gesagt, Männerklamotten anzieht und irgendetwas heldenhaft Männliches tut, sondern für mich ist eine Figur dann stark, wenn sie ein Ziel hat und dieses Ziel verfolgt. Das kann auch sein, das perfekte Gemälde zu schaffen, oder meinetwegen etwas weiblich Merkwürdiges, wie einen wunderschönen Stoff zu weben.

Mir fällt nichts Besseres gerade ein, das hört sich total langweilig an, aber wenn sie ihn jetzt unbedingt weben will und alles dafür besorgen will und sich ihr große Hindernisse in den Weg stellen, dann ist das eine Heldentat, diese Hindernisse zu überwinden. Ob das jetzt besondere Stärke beinhaltet, weiß ich nicht, aber es wäre auf jeden Fall eine interessante Heldin und über solche Heldinnen würde ich gerne mehr lesen. Dazu fällt mir gerade – deswegen hatte ich noch mal um das Mikrofon gebeten – ein Artikel aus dem Guardian ein, den ich letztens gelesen habe. Da ging es um the Male Gaze, also den männlichen Blick auf Geschichten, und dass wir Autorinnen auch immer unter diesem männlichen Blickwinkel erzählen und unsere Figuren danach strukturieren.

Dort wurde das Beispiel gebracht: Eine Frau, die aus dem Fenster auf eine regennasse Landschaft sieht, ist nicht interessant. Interessant sind tausend Menschen, die einem Fußballspiel zujubeln. Das ist der männliche Blick. Das wird nicht als zwei Beschreibungen von Gesellschaft gesehen, sondern die tausend Menschen beim Fußballspiel sind Gesellschaft, das ist toll. Die Frau, die aus dem Fenster guckt – na ja, das ist ein Klischee, das ist langweilig. Da müssen wir mal ein bisschen von weg. Und dafür will ich arbeiten.

Nora Bendzko

Wenn ich das kurz noch zusammenfassen darf, nur dass ich es richtig verstanden habe, und auch für das Publikum: Du sagst, du wünschst dir so etwas wie eine innere Motivation für Frauenfiguren? (Nike nickt) Okay, ja, würde ich auch so sagen.

Stella Delaney

Das finde ich auch, das ist ein sehr, sehr guter Gedanke. Wir sind jetzt leider schon am Ende von unserem Talk angekommen. Ich glaube, fünf Minuten haben wir noch, und die Zeit werden wir auch nutzen. Ich wollte nur schon mal darauf hinweisen, weil wir jetzt sehr viel für euch geredet haben: Es besteht nach wie vor die Möglichkeit, dass ihr nachher auch mit uns reden könnt. Wir sind noch etwa eine halbe Stunde in der Signier-Area für euch zur Verfügung. Ansonsten am Stand vom Nornennetz, J303, hier in der Halle 2, auch morgen noch. Wenn ihr euch mehr informieren wollt über das Nornennetz, oder vielleicht sogar bei uns mitmachen wollt – das wäre natürlich auch schön! –, dann findet ihr uns im Internet.

Wir haben eine Website, und wir sind auf allen [wichtigen] Social Media: Instagram, Twitter, Facebook, unter Nornennetz. Man findet uns eigentlich überall und ungeniert für alle Fragen, für alle Wünsche, Beitrittsangelegenheiten … Ihr könnt euch an uns wenden. So, jetzt würde ich das Ganze gerne beschließen, dass wir von allen Teilnehmerinnen noch mal ein Closing Statement, eine Zusammenfassung hören, das, was ihnen noch am Herzen liegt, was sie gerne ändern möchten, warum sie im Nornennetz sind und was sie sich wünschen, bewegen zu können. Ich würde sagen, ich fange an mit der Katherina.

Die Umrisse einer Frau, deren Haar zu Netzlinien verläuft. In der Hand hält sie eine goldene Feder. Unterhalb der Frau steht Nornennetz, als wäre die Schrift als Tinte aus der Feder gelaufen.

Katherina Ushachov

Das Nornennetz kann nicht die ganze Welt retten, aber wir können zumindest in unserer Nische, bei Frauen in der Phantastik und dem Ende der strukturellen Benachteiligung, anfangen. Und jeder kleine Schritt, alles, was wir erreichen können, ist bereits ein Fortschritt, ist bereits Gewinn. Darum bin ich beim Nornennetz. Darum bin ich aktiv.

Stella Delaney

Nike?

Nike Leonhard

Ja, Katherina hat mir die Worte eigentlich aus dem Mund genommen. Ich bin natürlich egoistisch, ich mach das auch für mich selber, weil ich eine Frau bin und meine Sachen besser an den Mann, die Frau bringen möchte. Aber es ist mir schon seit Jahren ein Anliegen. Ich komme aus der Frauenbewegung und ich finde Feminismus nichts, was alt, unattraktiv oder hässlich macht, sondern einfach notwendig. Die Hälfte des Himmels, die Hälfte der Erde und die gesamte Zukunft!

Nora Bendzko

Ja, ich möchte auch noch kurz sagen: Warum mache ich hier überhaupt mit? Wieso? Ich hätte das vor langer Zeit nicht gedacht. Ich bin hier eine der Jüngsten, glaube ich, mit 23, und hätte vor einiger Zeit nicht gedacht, dass ich hier mal bin. Bis es die Episode in meinem Leben gab, wo ich mich erstmals mit Geschichten ins Netz gewagt habe. Ich hatte damals ein Pseudonym, war anonym im Netz und durfte feststellen, dass ich als eine Horror-Autorin und Dark-Fantasy-Autorin immer für einen Mann gehalten wurde, immer für wesentlich älter, obwohl ich 17 war und eben ein Mädchen. Als dann mein »Outing« kam, wo ich gesagt habe, ich bin tatsächlich eine Frau – so zwei Jahre später –, durfte ich die Veränderung bemerken.

Ich durfte bemerken, obwohl ich zu dem Zeitpunkt schon Moderatorin war in einem Forum, dass Leute mich auf einmal nicht mehr ernst nehmen wollten, dass auf einmal Kollegen, mit denen ich einen super Austausch hatte, anfingen, mir Kosenamen zu schreiben. Wo man sich vorher normal ausgetauscht hatte in einer Mail über Bücher, begann jetzt eine Mail mit: »Hallo Hasi«, und ich habe danach natürlich abgeschaltet. Ich habe gemerkt: Woah, hier stimmt etwas nicht! Das möchte ich gerne abbauen, dafür bin ich im Nornennetz. Ich möchte euch alle, die hier sitzen und zuhören, dazu einladen, dass ihr das auch macht.

Es fängt schon damit an, einen Blick ins Bücherregal zu werfen, sich selbst zu vergegenwärtigen: Habe ich vielleicht Vorurteile und habe es nie gemerkt? Habe ich nur Autorinnen in meinem Schrank stehen? Habe ich nur Autoren in meinem Schrank stehen? Was kann ich dagegen machen? Und diese Diskussion mit anderen zu suchen, Bewusstsein zu schaffen, und sich selbst zu hinterfragen, wenn man sich schon erwischt hat bei dem Gedanken: Aber Männer können doch gar nicht, und Frauen können doch gar nicht … Dass man vielleicht ein bisschen tiefer in die Szene guckt und merkt: Aber es gibt einen Nicholas Sparks, der super Romance schreiben kann, es gibt Autorinnen wie Catherine Shepherd, bei denen jeder kotzen muss [vor Angst], egal, ob Mann oder Frau, und dass wir das stark machen.

Denn davon lebt die Phantastik. Sie lebt davon, neue Welten zu erschließen, in neue Horizonte zu entführen, in Welten, die wir so nicht kennen. Und das können wir nur schaffen, wenn wir diese Grenze im Kopf überwinden, zusammen.

Stella Delaney

Absolut perfekt! Ich warte auch schon auf den Applaus und möchte gar nicht lange hinausschieben. Wirklich, ich bin ganz stolz, dass ich hier sitzen darf mit den tollen Kolleginnen, die mir eigentlich alle Worte abgenommen haben. Ich möchte ganz kurz sagen: Ich habe auch eine ähnliche Erfahrung gemacht, weil ich oft männliche Hauptfiguren schreibe. Das ist keine bewusste Entscheidung, das war schon bei meinem ersten Roman, den ich mit 12 in der Auflage von einem Exemplar geschrieben hatte, der Fall. Immer wieder, wenn ich erwähne oder nur erzähle, worum es in meiner Geschichte geht, und es kommt heraus, das sind männliche Protagonisten, dann kommt sofort die Frage: »Oh, warum schreibst du Männer?«

So ein bisschen mit der Unterstellung: Möchtest du ein Mann sein? Stört dich irgendwas? Natürlich, das hatte ich noch gar nicht bedacht: Also marketing-mäßig ist das anscheinend eine gute Bewegung! Das hat mir zum ersten Mal wirklich gezeigt, schon sehr früh, dass da wohl Diskussionen sind, dass da wohl Rollenbilder sind, dass Erwartungen da sind, was man schreiben darf als Frau oder als Mann. Viel später bin ich dann aufs Nornennetz gestoßen, und fand: Endlich finde ich mal etwas, was sich genau gegen solche Klischees einsetzt!

So, ich möchte mich abschließend bei allen bedanken, dass ihr uns zugehört habt. Ich hoffe, ihr habt ein paar interessante Inputs bekommen – ich auf jeden Fall. Wie gesagt, wir stehen euch zur Verfügung, jetzt noch eine halbe Stunde, am Nornennetz morgen oder online, wann immer ihr Zeit und Lust habt. Und jetzt der große Applaus für die tollen Talkerinnen!

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