Schicksalsstöcke

Schreibtipp: Entwicklung von Fantasynamen von Eleonore Laubenstein

Vor einem Jahr las mein Freund ein Buch. Das an sich ist keineswegs etwas Ungewöhnliches, da er viel und auch gerne liest, aber dieses eine Buch ist mir ganz besonders in Erinnerung geblieben.

Nicht, weil er mir viel davon erzählte oder weil es ein gutes Buch war (ich weiß nicht einmal mehr den Titel), sondern weil ich beim Durchblättern auf etwas stieß, was mich stutzig werden ließ.

Natürlich bin ich neugierig, was mein Freund so liest, und höre auch gerne zu, wenn er mir darüber erzählt. Es klang auch wirklich sehr interessant („Joah, ist halt ganz spannend geschrieben und so.“) und die Welt, in der sie spielte, übte auf mich eine unerklärliche Faszination aus („Naja, so ein bisschen wie Herr der Ringe, aber anders.“), weshalb ich schließlich auch reinlas.

Das erste, was mir auffiel, waren die Namen.

Namen sind eines der größten Herausforderungen eines jeden Autors. Wir sitzen teilweise nicht nur stunden- sondern auch tagelang an dem Namen eines einzelnen Charakters, eines magischen Artefakts, eines Ortes, etc. Wir recherchieren in obskuren Datenbanken, scrollen uns durch kilometerlange Listen von Babynamen auf der Suche nach Dem Einen, sie zu knechten, sie alle zu … naja. Ihr wisst schon.

Ich als Autorin kenne das Problem nur zu gut.

Weshalb ich auch immer ganz fasziniert davon bin, was andere Autoren sich so für Namen ausdenken, was sie sich wohlmöglich dabei gedacht haben, was die Bedeutung dieser Namen sind, und ich mir niemals anmaßen würde, einen Leidensgenossen zu kritisieren.

Aber in diesem Fall konnte mein innerer Linguist einfach nicht die Klappe halten.

„Was genau haben die ganzen Diakritika auf den Buchstaben für eine Bedeutung?“, fragte ich also meinen Freund.

„Äh“, kam die aufschlussreiche Antwort. „Was genau meinst du?“

„Naja, guck“, sagte ich und deutete auf den Namen, der aus sieben Buchstaben und drei verschiedenen Akzentzeichen, die jedem Französischlerner bekannt sein dürften, bestand. „Und das hier.“ Ein weiteres Wort, das jetzt zusätzlich noch zwei weitere Diakritika aufwies, die man sonst eher in der Umschrift für chinesische Sprachen kennt.

„Wie meinst du das jetzt?“, fragte also mein Freund, der so mit Sprache nichts am Hut hat.

„Naja“, sagte ich erneut und setzte jetzt mein Also-ich-erkläre-dir-das-mal-Gesicht auf, „diese Diakritika müssen ja irgendeine Funktion haben. Markieren die vielleicht Töne? Oder Nasalität? Einen Langvokal?“

„Ich glaube“, sagte mein Freund gedehnt, „die sollen einfach nur gut aussehen …“

Ich holte tief Luft.

Bevor ich euch an dieser Stelle mit dem gleichen Vortrag in den Wahnsinn treibe, mit dem ich meinem Freund das Buch ruiniert habe, hier nur die Kurzversion dessen, was ich an diesem Abend realisiert hatte:

Die Logik von Sprache, die Funktion von Schrift und Schriftzeichen, sind denjenigen, die wohl am meisten mit ihnen konfrontiert werden, kaum bekannt.

Damit meine ich jedoch nicht, dass Autoren keine Ahnung von Grammatik haben (und wenn, dann haben sie gute Lektoren), sondern viel mehr, dass die Regeln von Sprache weit über unsere Schulgrammatikkenntnisse hinausreichen.

Keine existierende und mir bekannte Sprache verwendet beispielsweise Diakritika, ohne dass sie eine Funktion haben oder zumindest hatten. Sprache ist effektiv, Schriftsprache noch viel mehr, weil sie von Menschenhand geschaffen wurde, um möglichst logisch die gesprochene Sprache auf irgendeine Weise aufschreiben zu können. Warum also Zeichen dazuerfinden, die gar keine Funktion besitzen?

Mir als Linguistin fällt es auf, wenn sich ein Fantasyautor wirklich Gedanken darüber gemacht hat, ob ein System hinter den Diakritika und exotisch aussehenden Buchstabenkombinationen steckt, oder eben nicht.

Da kann die Welt noch so ausgetüftelt sein, ich bin draußen. Mir kann sie nicht mehr glaubhaft verkauft werden.

Dabei war nun eigentlich das genaue Gegenteil gewünscht. Als Autor versuche ich ja, irgendetwas zu entwickeln, was den Eindruck erweckt, dass diese Welt, die ich erfunden habe, auch realistisch ist.

Der Autor dieses spezifischen Buches hatte auch den richtigen Ansatz: Um dem Leser am besten zu vermitteln, dass es hier um eine neue, unbekannte und komplett andersartige Welt und Kultur geht, erfindet man eine eigene, neue Sprache. Tolkien hat es vorgemacht, jetzt hat jede Fantasywelt, jedes Sci-Fi Universum mindestens eine eigene Kunstsprache, von Linguisten entwickelt, um dem Leser oder Zuschauer ganz deutlich klarzumachen, dass wir es hier mit einer Kultur zu tun haben, die wir nicht kennen. Die andersartig ist.

Aber wie genau macht man so etwas, vor allem, wenn man keinen Linguisten zur Hand hat?

Also beschloss ich, auf meinem kleinen Winzblog einen Beitrag zu schreiben, eine Art Leitfaden für die Entwicklung einer Mini-Kunstsprache, bestehend aus vielleicht zwanzig, dreißig Wörtern, auf deren Basis man eine eigene, komplett neue Kultur entstehen lassen könnte.

Dass dieser Beitrag zu meinem zweitmeist angeklickten Beitrag werden sollte, wusste ich zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht.

Ich jedenfalls hatte etwas gefunden, worüber ich gerne bloggte. Nach mehreren Monaten, in denen ich mich mehr oder weniger geweigert hatte, zu bloggen, weil ich auch einfach nicht der Typ bin, der zu jedem gelesenen Buch eine Rezension verfasst oder einfach aus dem Alltag plaudert, merkte ich plötzlich, wie viel Spaß ich daran hatte, über Aufbau und Entwicklung von Fantasywelten und -sprachen zu sprechen. Die Dinge anzusprechen, über die man eigentlich nie nachdenkt, wenn man eine neue Kultur erfindet, die aber relevant genug sind, um Sprache aktiv zu beeinflussen: Infrastruktur, Religion, soziale Unterschiede und Legenden – all die Dinge, von denen wir gar nicht bemerken, wie stark sie unser Vokabular und unsere Ausdrucksweise verändert haben, weil wir sie als selbstverständlich annehmen.

Dabei ist doch alles, was ein Autor nutzt, reine Sprache.

Wir nutzen Sprache, um in den Köpfen unserer Leser Welten entstehen zu lassen. Wir nutzen Sprache, um Emotionen und Bilder hervorzurufen und sie zu manipulieren. Wir sind Meister darin, uns die Sprache für unsere eigenen Zwecke zunutze zu machen. Sie schenkt uns die Möglichkeit, uns auszudrücken und unsere Gedanken mit den Menschen um uns herum zu teilen. Sie hilft uns, unsere Bücher zu schreiben und sie realistisch klingen zu lassen.

Vielleicht sollten wir uns bemühen, sie genauso realistisch in unsere eigenen Welten einzubauen …

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