Schicksalsstöcke

Literarische Weltreise zum Frauenwahlrecht – Olympe de Gouges (Frankreich)

Von England aus reisen wir nach Frankreich weiter.

Eine weiße Weltkarte mit zwei goldenen Flecken in der Position von England und Frankreich. Ein roter Pfeil führt vom ersten zum zweiten.

Kämpferin und Visionärin – ein kurzes Porträt über ein revolutionäres Herz!

Die gepflasterte Straße glänzt durch den ununterbrochenen Regen. Auf einem Karren wird eine gefesselte Frau durch eine gaffende Menschenmenge gezogen. In der Gasse ist es eng, doch am Ende des Durchgangs glitzern Pflastersteine auf einem Platz. Das Wasser fließt wie Bindfäden von der Guillotine auf dem Place de la Révolution, als ob der Regen versuchte, die in Blut ertränkten Überzeugungen der revolutionären Geister fortzuspülen.

Die Frau ist blass, zittert, weint und reißt sich dann wieder zusammen. Stolz reckt sie den Kopf. Ihre fordernden Worte, festgehalten in der „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ 1791, fegen unausgesprochen und ungehört über die Köpfe der schlichten Gemüter hinweg, die kein Mitleid mit ihr haben.

„Wenn die Frauen ein Recht auf das Schafott haben, so haben sie auch das Recht auf die Rednerbühne.“

Dies ist nicht der Anfang einer Folge aus Game of Thrones, obwohl man es sich durchaus vorstellen könnte. Es ist die wahre Geschichte des Beginns weitreichender europäischer Machtumwälzungen. Und mittendrin diese stolze, zierliche Frau. Aber wer ist diese Person, die jetzt vollständig all ihrer Privilegien und Rechte beraubt wurde, außer jenem Fragwürdigen auf das Schafott?

Es ist Olympe de Gouges, die Femme galant und Femme de lettres der gehobenen französischen Gesellschaft.

Der unehelichen Tochter eines französischen Adeligen wurde es rasch zu langweilig auf dem Land. In der vornehmen Pariser Gesellschaft nutzte sie geschickt den Geist der Französischen Revolution, um mit aller Deutlichkeit aufzuzeigen, dass eine soziale Neuordnung nicht der Hälfte der Bevölkerung weiterhin ihre Rechte vorenthalten kann. Außergewöhnlich ist dabei, dass sie von Beginn ihres politischen Wirkens nicht nur die Geschlechterdebatte anführte, sondern auch für die Rechte der Schwarzen eintrat und damit jede Form der Unterdrückung von Menschen durch andere Menschen anprangerte.

Sie nahm die Erklärung der Menschenrechte und tat das, was das Dokument eigentlich selbstverständlich hätte enthalten sollen: Sie arbeitete die Rechte der Frauen heraus.

“Mann, bist du fähig, gerecht zu sein? Es ist eine Frau, die dir diese Frage stellt, zumindest dieses Recht nimmst du ihr nicht. Sag mir, wer hat dir die unumschränkte Herrschaft verliehen, mein Geschlecht zu unterdrücken? Deine Kraft? Deine Begabungen? Beobachte den Schöpfer in seiner Weisheit; prüfe die Natur in ihrer ganzen Größe, der du dich annähern zu wollen scheinst, und gib mir, wenn du es wagst, ein Beispiel für diese Tyrannenherrschaft.”

Die Rechte der Frau

In dem Versuch, den König vor dem Schafott zu bewahren, zeigte sich ihre kluge Weitsichtigkeit, die jedoch in der Nationalversammlung kein Gehör fand. Sie sagte dort: „Es genügt nicht, den Kopf eines Königs fallen zu lassen, ihn zu töten; er lebt noch eine lange Zeit nach seinem Tode fort; tot aber ist er erst wirklich, wenn er seinen Sturz überlebt.“, und beschrieb damit in deutlichen Worten, dass ein Leitbild nur dadurch verschwindet, wenn es durch eine neue Idee obsolet wird. Dasselbe könnte man über ihre Vorstellungen sagen, derer man sich auch mit ihrem Kopf entledigen wollte.

Olympe de Gouges ist eine jener außergewöhnlichen Wegbereiterinnen gewesen, von deren Kraft, Mut und Willen die Frauen von heute noch immer zehren und lernen können.

Und denen sie nacheifern sollten!

Es ist schon sehr bemerkenswert, dass trotz solcher frühen starken Aktivistinnen das Wahlrecht für Frauen in Frankreich erst 1944 eingeführt wurde, während es in anderen europäischen Ländern weit früher der Fall war …

Weitere Quelle:

Paul Novak: Olympe de Gouge 1748-1793 – Kurtisane und Kämpferin für die Rechte der Frau, DTV 1992

Autorin: Jana Jeworreck

Der nächste Beitrag führt uns ab dem 27.01.2020 nach Österreich.

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