Schicksalsstöcke

Gastbeitrag: Literarische Weltreise zum Frauenwahlrecht – Elfriede Jelinek (Österreich)

Nach Frankreich ist Österreich unser nächstes Reiseziel.

Eine weiße Weltkarte mit zwei goldenen Flecken in der Position von Deutschland und Österreich. Ein roter Pfeil führt vom ersten zum zweiten.

Das Frauenwahlrecht in Österreich feierte 2018 sein hundertjähriges Bestehen. Im Jahre 1918 wurde am 12. November die Republik Österreich ausgerufen. Mit der parlamentarischen Demokratie bekamen die Frauen das Wahlrecht zugesprochen. Ihre ersten Stimmzettel gaben sie im Jahr 1919 an der Wahlurne ab. 27 Jahre später, genauer am 20. Oktober 1946, wurde eine der bekanntesten Schriftstellerinnen Österreichs in Mürzuschlag/Steiermark geboren: Elfriede Jelinek.

Sie zieht als kleines Kind mit ihrer Familie nach Wien, die Stadt wächst ihr rasch ans Herz und wird ihre wahre Heimat. Sehr früh erhält sie eine umfassende musikalische und tänzerische Ausbildung, auf Drängen ihrer Mutter belegt Jelinek 1960 am Wiener Konservatorium die Fächer Klavier, Orgel, Blockflöte und Komposition Fast schon nebenbei legt sie 1964 die Matura (Abitur) ab. 

Die junge Frau ist künstlerisch hochbegabt und vermutlich hochsensibel. In ihrem strengen Elternhaus leidet sie zusehends. Sie verarbeitet ihre Ängste in Gedichten und literarischen Werken. Nach einigen Semestern Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität Wien verschlimmert sich ihr physischer Gesundheitszustand, sie bricht das Studium ab. Kurz darauf, 1967, erscheint ihr erster Lyrikband Lisas Schatten. Doch der kurze Lichtblick währt nicht lange: ihre Depression erreicht ihren Höhepunkt. Für ein Jahr kann die Poetin das Haus nicht verlassen. Zuhause arbeitet sie an Gedichten und mehreren Romanen, 1970 erscheint wir sind lockvögel baby! Nach einer Weile geht es mit Jelineks Gesundheit bergauf, sie schließt 1971 am Wiener Konservatorium das Orgelstudium ab. Sie wird auch politisch aktiv, tritt 1974 der Kommunistischen Partei Österreichs bei (KPÖ), die sie 1991 aber wieder verlässt.

Schon 1975 schafft sie ihren Durchbruch mit dem Buch Die Liebhaberin. Auch verfasst sie mehrere Theatertexte, die in Österreich und Deutschland aufgeführt werden. Außerdem arbeitet sie von 1977 bis 1987 bei der feministischen Zeitschrift Die schwarze Botin.

1983 erscheint der Roman Die Klavierspielerin, dessen Theatertext in Bonn uraufgeführt (und 2001 sogar verfilmt) wird. Thema ist eine beklemmende Mutter-Tochter-Beziehung, die autobiographische Parallelen zu Jelineks eigener Familie aufweist. In Österreich provoziert die Theateraufführung einen Skandal. Jelinek wird als „Nestbeschmutzerin“ beschimpft. Gleichzeitig ist Die Klavierspielerin ihr internationaler Durchbruch, zudem erhält sie u.a. als erste Frau den Heinrich-Böll-Preis der Stadt Köln. Weiterhin politisch bleibt sie auch mit dem Stück Burgtheater, das die Verstrickung Österreichs mit dem Nationalsozialismus aufzeigt. Sie greift damit die Darstellung Österreichs an, es sei das erste Opfer des nationalsozialistischen Deutschlands gewesen. Wieder muss die Schriftstellerin sich als “Nestbeschmutzerin” beschimpfen lassen. Doch sie hört nicht auf, sich für Themen zu interessieren, die das konservative Österreich gegen sie aufbringen. Das nächste öffentliche Interesse erweckt Jelinek mit der künstlerischen Auseinandersetzung mit der Sexualität Ende der achtziger Jahre. So wird ihr Werk Lust noch vor der Veröffentlichung 1989 als pornografischer Roman abgestempelt.

1995 zieht sie sich schließlich aus der Öffentlichkeit zurück, nachdem unter anderen die rechtsextreme FPÖ sie strukturiert politisch angreift und persönlich diffamiert. Doch vom Schreiben halten sie sie nicht ab! Weiterhin werden von ihr Theatertexte in Hamburg und im Wiener Burgtheater aufgeführt. 1998 erhält sie gar den Georg-Büchner-Preis.

Bei einer regierungskritischen Demonstration im Jahr 2000 wird Jelineks Theatertext Lebwohl in Wien uraufgeführt. Der sozialistische Flügel weiß, dass er mit Jelineks Werken polarisiert: Die neue Regierung, bestehend aus der konservativen ÖVP und der rechten FPÖ, verbietet öffentliche Aufführungen ihrer Theaterstücke und Romane. Das Verbot wird im Jahr 2002 allerdings wieder aufgehoben. Schon im Jahr 2003 feiert die österreichische Presse die Wiener Schriftstellerin erneut, ihr Stück Das Werk wird am Akademietheater wochenlang vor ausverkauften Sälen aufgeführt. Keine Minute zu spät entscheidet sich Österreich dafür, seine Autorin zu lieben – 2004 gewinnt Elfriede Jelinek den Nobelpreis für Literatur und weitere internationale Auszeichnungen.

Es lohnt sich auf jeden Fall, einen Blick auf ihre Seite zu werfen. Hier veröffentlicht sie neben dem Internetroman Neid viele andere Texte.

Quellen:

Autorin: Angelika Depta und Claudi Feldhaus

Der nächste Beitrag führt uns ab dem 28.01.2020 nach Polen.

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