Schicksalsstöcke

Literarische Weltreise zum Frauenwahlrecht – Lü Bicheng (China)

Vom Iran geht es weiter nach China.

Eine weiße Weltkarte mit zwei goldenen Flecken in der Position des Irans und China. Ein roter Pfeil führt vom ersten zum zweiten.

Nǐmenhǎo! Willkommen im China des späten neunzehnten Jahrhunderts. Wir befinden uns hier in Jingde in der Provinz Anhui an der ostchinesischen Küste. Im Augenblick ist das Wetter … sagen wir erträglich. Das Land wird durch die Qing Dynastie beherrscht, genauer gesagt durch Kaiser Guangxu.

Hier in Jingde wurde im Jahre 1883 die berühmte Schriftstellerin, Journalistin und Frauenrechtlerin Lü Bicheng geboren. Sie war die dritte Tochter des Ehepaars Lü Fengqi und Yan Shiyu. Ihr Vater arbeitete als Schulbeamter und der Familie ging es wirtschaftlich gut, sodass Lü Bicheng eine recht unbeschwerte Kindheit genoss.

Mit neun Jahren wurde sie an einen Sohn einer Wang-Familie verlobt. Als sie zwölf war, verstarb ihr Vater jedoch und die Mutter zog mit ihren vier Töchtern zu ihren eigenen Verwandten, der Yan-Familie. Diese beschlagnahmte sämtliche Besitztümer der Familie und nahm Yan Shiyu schließlich sogar gefangen. Aufgrund des unglücklichen Schicksals löste die Yan-Familie die Verlobung auf. Dieses Erlebnis erschütterte die junge Bicheng sehr und prägte sie ihr ganzes Leben, da es eine Verletzung ihrer Ehre bedeutete. Bis zu ihrem Tode blieb sie deshalb unverheiratet.

Wenigstens ihre Mutter wurde schließlich freigelassen, trotzdem blieb das Familienleben hart.

Als Lü Bicheng einundzwanzig Jahre alt war, wandte sich ihr Schicksal allerdings wiederum – diesmal zum Guten. Der Redaktor Ying Lianzhi war beeindruckt von ihrem literarischen Talent und stellte sie 1904 bei seiner Zeitung Ta Kung Pao ein, die bis heute existiert. Damit war Lü Bicheng die erste Journalistin in der Geschichte Chinas. In ihren Artikeln sprach sie sich für Frauenrechte aus und lernte auch die einflussreiche Feministin Qui Jin kennen.

Den Schlüssel sah sie jedoch in der Bildung. Ebenfalls im Jahre 1904 wurde sie Lehrerin an der Beiyang Women’s School und später deren Leiterin. Mit dreiundzwanzig Jahren war sie nicht nur die erste Direktorin, sondern auch die jüngste.

Nach Gründung der Republik China arbeitete Lü Bicheng im Sekretariat des Präsidenten Yuan Shikai und lernte Französisch, Englisch, Deutsch und Japanisch.

1918 begann sie ein Studium der Literatur und Kunst in New York und bereiste anschließend die USA und Europa. Auf dieser Reise entdeckte sie ihre Begeisterung für den Buddhismus und übersetzte zahlreiche Schriften ins Englische.

Außerdem setzte sie sich für den Tierschutz ein und nahm 1926 an einem Kongress in Wien teil, wo sie sich für ein generelles Tötungsverbot von Tieren aussprach.

Schließlich kehrte sie nach China zurück, wo sie 1943 in Hongkong verstarb. Die Einführung des Wahlrechts für Frauen 1949, verpasste sie damit um wenige Jahre. Dennoch inspirierte Lü Bicheng zahlreiche Schülerinnen, die später selbst Aktivistinnen oder Künstlerinnen wurden. Zu ihren Werken zählen zahlreiche Ci-Gedichte (Eine chinesische Gedichtform) und Bücher über ihre Reise in den Westen.

Autorin: Anna-Birke Lindewind

Der nächste Beitrag führt uns ab dem 20.02.2020 nach Japan.

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