Eine gefrorene Seifenblase im Regenbogennebel. Oben rechts die Schrift "Rauhnächte bunte Geschichten zwischen Eis und Dunkelheit"
Schicksalsstöcke

Rauhnächte: 8. Rauhnacht Gelb

Eine gefrorene Seifenblase im Regenbogennebel. Oben rechts die Schrift "Rauhnächte bunte Geschichten zwischen Eis und Dunkelheit", recht unten eine 8
Grafik: Jana Jeworreck

CN Tod

Sonnenblumen im Winter.

Das war das Erste, was Paula an ihr auffiel. Sie saß am Nebentisch und löffelte ihren Safranreis. Sie trug ein gelbes Kleid und hatte ihre wilden, blonden Haare mit einem gelben Haarband gebändigt. Zwischen all den Wintermänteln und dicken Pullis in tristen Farben fiel das richtig auf. 

Was sie wohl bewogen hatte, diese Farbe anzuziehen?

Paula konnte sich noch an ihre Kindheit erinnern. Damals hatten sie eine Farm mit vielen Sonnenblumen besessen. In den dichten Sonnenblumenfeldern hatte sie sich immer vor ihren Brüdern versteckt. Die Blumen waren wunderschön und gaben ihr Sicherheit. Bis sie dann immer weniger wurden. Und ausstarben.

Erst waren es die Sonnenblumen. Dann waren es die Bienen. Hieß es nicht, wenn die Bienen aussterben, hat die Menschheit noch vier Jahre zu leben?

Diese vier Jahre waren nur schon einige Zeit vorbei.

Wie lange es dauern würde, bis diese Sonnenblume sterben würde? Dieser Gedanke kam ihr so plötzlich, dass er sie richtig ängstigte. 

Alles war vergänglich. Deswegen musste man die Gelegenheit am Schopf packen. Doch Paula spürte, wie eine unsichtbare Macht sie in ihren Stuhl drückte. Auf einmal war die Frau meilenweit weg. 

Was ist, wenn sie gar nicht auf derselben Seite des Sonnenblumenfeldes war? Wenn sie nicht nett war? Sich über sie lustig machte? Wenn Paula sich von ihrer sonnigen Hülle blenden lies?

Nein, lieber nichts riskieren.

Paula beugte sich tief über ihren Ancham-Tee, als die Sonnenblume mit einem Wisch über ihr Smartphone den Kellnerroboter rief, bezahlte und ihr beim Verlassen des Cafés ein süßes Lächeln zuwarf.

Was soll’s, sie kam bestimmt morgen wieder hierher.

Es war mitten in der Nacht, als der Alarm losging. Paula hatte kaum Zeit, alle ihre Sachen zu packen, da mussten sie auch schon in den Atomschutzbunker. Es dauerte Wochen, bis Entwarnung kam. Entkräftet kam Paula aus dem Atomschutzbunker. Die Sonne, die Paula in dieser Zeit unglaublich vermisst hatte, nahm ihr die Sicht. Doch sie war nicht mehr so warm wie früher. Alles schien dunkler geworden zu sein. 

Wenige Meter von ihrem Bunker sah Paula die Frau wieder. Die Farbe ihres Kleides war kaum noch wiederzuerkennen, die Haare ausgefallen und vom Haarband keine Spur. Dieses Mal würde sie ihre Chance nicht verstreichen lassen. Sie ging auf sie zu und nahm ihre Hand, stellte viel zu spät fest, dass große Teile ihres Arms fehlten. Die Frau zog sie in einen leidenschaftlichen Kuss. 

Und fraß ihr Gehirn.

Ein Beitrag von Katharina Rauh.

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