Schicksalsstöcke

Literarische Weltreise zum Frauenwahlrecht – Doria Shafiq (Ägypten)

Nach dem Libanon bereisen wir Ägypten.

Eine weiße Weltkarte mit zwei goldenen Flecken in der Position vom Libanon und Ägypten. Ein roter Pfeil führt vom ersten zum zweiten.

Doria Shafiq (1908-1975)

Schon im alten Ägypten war die “damnatio memoriae“, die Verdammung des Andenkens, eine der schlimmsten Strafen, die einen Menschen treffen konnte. Der Name einer Person wurde nicht nur aus den offiziellen Dokumenten gestrichen, sondern auch von den Wänden der Gräber getilgt – für sie gab es kein Weiterleben, weder im Diesseits noch im Jenseits. Diese Verdammnis traf unter anderem Hatschepsut, die als eine der wenigen Frauen als König über Ägypten herrschte, oder Nitokris, die letzte Herrscherin des Alten Reiches.  

Ägypten war schon immer ein Land der alten Traditionen und so ist es kein Wunder, dass diese Strafe auch heute noch praktiziert wird.

Doria Shafiq gilt als eine der einflussreichsten Frauen der arabischen Welt, und doch kennt kaum jemand heute ihren Namen, nicht bei uns und auch nicht in Ägypten. Schon 1957 versuchte der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser ihren Namen aus den Geschichtsbüchern streichen und verbot ihre Publikationen. Im Jahr 2013 traf Shafiq das Schicksal erneut, als sie aus den aktuellen Schulbüchern verbannt wurde, weil sie keinen Hijab trug und somit ein schlechtes Vorbild für die Jugend wäre.

Doch wer war diese Frau, der so viel Ablehnung entgegenschlug?

Doria Shafiq wurde im Dezember 1908 in der Stadt Tanta im ägyptischen Nildelta geboren. Sie besuchte eine französische Missionarsschule. Durch Unterstützung von Huda Sha’arawi (Gründerin der ägyptischen feministischen Union ÄFU) war es ihr möglich, an der Pariser Sorbonne Philosophie zu studieren. Sie promovierte dort als erste Ägypterin über das Thema “Die Frau und das religiöse Recht in Ägypten”. Zurück in Ägypten nahm sie in Kairo eine Stelle im Bildungsministerium an – eine Professorenstelle an der Universität wurde ihr wegen ihres Geschlechtes und ihrer modernen Einstellung verweigert. 

Mitte der 1940er Jahre übernahm Shafiq die Chefredaktion der Frauenzeitschrift La Femme Nouvelle, das sich an die Elite der ägyptischen Frauen richtete. Gleichzeitig gründete sie das arabische Magazin Bint Al Nil („Tochter des Nil“), mit dem sie auch Frauen der Arbeiterklasse erreichen und bilden wollte. Aus diesem Magazin heraus gründete sie eine eigene politische Bewegung, die sich für das Frauenwahlrecht in Ägypten einsetzte, für die Gleichberechtigung, die Abschaffung der Polygamie und eine Änderung des Scheidungsverfahrens. Die Bint Al Nil Union setzte sich ebenfalls für die Bildung der meist illiteraten Frauen ein, veranstaltete Kulturevents und vermittelte Arbeitsstellen.

Im Jahr 1951 organisierte Shafiq gemeinsam mit den Mitgliedern von Bint Al Nil und der ÄFU den Marsch von 1500 Frauen auf das Parlament. Sie unterbrachen die Parlamentssitzung für vier Stunden und forderten das Wahlrecht für Frauen, eine Besserung ihres gesellschaftlichen Status‘ und gleiche Bezahlung wie die Männer. Doch ohne Erfolg.

Im Zuge der ägyptischen Unabhängigkeitsbewegung gegen das britische Empire gründete Shafiq auch einen paramilitärischen Zweig der Bint Al Nil, die rund 2000 Frauen umfasste und für den Einsatz an der Front ausgebildet war. Mit der ägyptischen Revolution 1952 machte sich Shafiq Hoffnung auf Erfüllung ihrer Forderungen und schaffte es, dass die Bint Al Nil als eigenständige Partei unter ihrer Führung anerkannt wurden. Doch noch immer durften die ägyptischen Frauen nicht wählen.

Shafiqs Vorgehen radikalisierte sich. Mit einigen Begleiterinnen trat sie in einen öffentlichen achttägigen Hungerstreik. Sie erreichte, dass die ägyptische Regierung schriftlich versicherte, dass den Frauen umfängliche politische Rechte eingeräumt wurden – zunächst jedoch nur auf dem Papier und mit der Einschränkung, dass die Frauen einer gebildeten Elite angehörten. Dora Shafiq trat in einen erneuten Hungerstreik im Protest gegen die diktatorische Verhaltensweise Gamal Abdel Nasser und forderte seinen Rücktritt. Dies hatte zur Folge, dass sie von der Regierung als Verräterin abgestempelt wurde, sich ihre eigenen Bint Al Nil von ihr abwandten und sie von der Regierung unter Hausarrest gestellt wurde. Die folgenden 18 Jahre verbrachte Dora Shafiq in Isolation. 1975 beging sie Selbstmord, indem sie sich vom Balkon ihrer Wohnung stürzte.

Lange Zeit war sie in Vergessenheit geraten. Erst 2016 ehrte Google ihren 108. Geburtstag mit einem Doodle, erst 2018 erschien ein Nachruf in der New York Times.

Quellen

Autorin: Roxane Bicker

Der nächste Beitrag führt uns ab dem 06.02.2020 nach Ghana.

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