Weihnachtselfe mit Blatt Papier in der Hand, fragender Blick in die Ferne, Schriftzug Adventskalender, Katharina Rauh, Mira, die Weihnachtselfe und der Drucker aus der Hölle
Schicksalsstöcke

Adventskalender 2021: Mira, die Weihnachtselfe und der Drucker aus der Hölle

»Hallo? Hallo! Na hör´nse mal! Es heißt zwar ›Schlafen kannst du noch, wenn du tot bist‹, aber deswegen brauchen Sie hier nicht so rumzutrödeln!«

Mira öffnete benommen die Augen und sah in die Augen einer Agrippianerin, die an einem Schreibtisch saß. Sie fühlte sich wie vom Bus überfahren. Schnell rappelte sie sich auf.

Die Agrippianerin sah sie mit hochgezogener Monobraue an.

»Wo bin ich?«

Die Agrippianerin verdrehte die Augen. »Im Himmel für Wesen. Hier ist Ihr Totenschein. Melden Sie sich bitte umgehend im Arbeitsamt. Da geht’s lang«

Sie wies mit ihrem langen Schnabel nach rechts. 

Tot? Wie konnte sie nur tot sein?  Vor ein paar Sekunden hatte sie noch am Fließband gestanden und  Weihnachtsgeschenke eingepackt. Und genau über dem Lego-Baggerset war es passiert. Der Arm des Manufaktors, der in letzter Zeit schon immer etwas geknarzt hatte, hatte sich gelöst und hatte sie und ihre Arbeitsgruppe unter sich begraben.

Und nun stand sie hier. Vor einem großen Schreibtisch, hinter ihr Weihnachtselfen wie sie, Vampire, Nachtmare und andere Wesen, die sie noch nie gesehen hatte.

Mira folgte den Anweisungen und Schildern durch einen weiteren langen Gang.

Sie fühlte sich nicht anders als sonst. Ein bisschen drückte es hier und dort, aber sonst war alles gut. Sie sah auf ihren Totenschein.

»Mira Hannson. Geboren 01.01.2014, gestorben 17.12.2021 23:56. Todesursache: Arbeitsunfall.«

Sie konnte sich an absolut nichts mehr erinnern. Den Himmel hatte sie sich auch wesentlich anders vorgestellt. Viel mehr Wolken, Engel und Harfenklänge. Eine Strandbar in der Sonne. Stattdessen glich das hier einem riesigen ineinandergeschachtelten Bürogebäude.

Warum musste man im Himmel überhaupt arbeiten?

Sie hielt vor dem Schild »Arbeitsamt«. Sie war beim Weihnachtsmann immer fleißig gewesen, hatte  getan, was ihr aufgetragen wurde. War sie vielleicht aus Versehen in der Hölle gelandet?

Sie trat vor den nächsten Schalter, an dem sich gerade eine Harpyie mit einer Kikimora unterhielt.

»Ja, den Kopierer haben wir erst seit letzter Woche. Dafür, dass er aus der Hölle kommt, ist er ganz in Ordnung. Er spinnt zwar manchmal, aber er hat dafür alle Funktionen. Kopieren, Scannen, Faxen. Sogar Duplex kann er.«

»Hallo«, hauchte Mira. »Ich soll mich hier melden für Arbeit?«

Die beiden bemerkten sie nicht und unterhielten sich weiter.

Ihr Vorarbeiter hatte ihr gesagt, dass man wichtige Leute nicht bei der Arbeit stören solle. Also wartete sie ab, bis sich die beiden voneinander lösen konnten. Sie sahen sie an, als sähen sie zum ersten Mal eine Weihnachtselfe.

»Mensch, sagen Sie doch was! Wie lange stehen Sie denn hier schon rum?«

»Entschuldigung.« Mira sah auf ihre Füße. »Ich soll mich hier zur Arbeit melden.« 

Die beiden Wesen sahen sich an. Die Kikimora schnaubte leise.

»So schnell geht das nicht. Da müssen Sie erst einmal den Arbeitslosenantrag ausfüllen. Haben Sie sich überhaupt schon beim Himmelsbewohnermeldeamt gemeldet?«

»Ich weiß nicht. Die Elfe am Empfang hat gesagt …«

»Jajaja. Zeigen Sie mal Ihren Totenschein.«

Mira händigte ihnen den Zettel aus. Die Kikimora würdigte ihn keines Blickes und klatschte ihn wortlos in die Einzugsvorrichtung des Kopierers. 

Quietschend zog dieser das Papier ein und spuckte weiter unten die Kopie aus. 

Sie nahm die Kopie und drückte ihre Lesebrille fest auf die Augen. Plötzlich verengten sich diese. »Hier muss ein Irrtum vorliegen. Sie sind noch gar nicht tot.«

Sie hielt ihr den Totenschein vor die Nase. 

Sie konnte sich kaum wundern, da spürte sie, wie eine Leichtigkeit sie befiel. Vor ihren Augen begann das Papier zu verschwinden. Alles wurde hell. Mira fühlte sich, als würde sie nach einem langen Tauchgang wieder aus dem Wasser auftauchen.Schlagartig wurde es wieder dunkel und Mira spürte wieder das Stechen im Rücken. Sie öffnete die Augen und es lief ihr eiskalt den Rücken runter.Sie war im Müllraum.Sie lag auf einem Haufen toter Weihnachtselfen. Der moderige Geruch trieb ihr die Tränen in die Augen. Schnell hielt sie die Hand vor den Mund, um sich nicht zu übergeben. 

Sie musste weg hier!

Sie sprang auf, einige leblose Körper verrutschten. Sie zog sich eine Glasscherbe aus dem Fuß und wischte sie an ihrem Arbeitsoverall ab.  Das Papier immer noch umklammert, schlich sie aus dem Müllraum. Eigentlich war ihr danach, sich gleich wieder pflichtbewusst an die Arbeit zu machen, doch der Totenschein in ihrer Hand hielt sie zurück. Was, wenn jemand Fragen stellte, warum sie ihrem Arbeitsplatz ferngeblieben war? Was, wenn ihr Vorarbeiter sie wieder bestrafen würde? Sie schauderte . 

Es war doch so unfair! Sie musste so viel schuften ein Leben lang und was kam danach? Nur noch weitere Schufterei!

Die toten Weihnachtselfen kamen ihr wieder in den Sinn. Einfach so weggeworfen wie kaputtes Spielzeug! 

Das konnte nicht so weitergehen! Sie musste etwas tun. Wieder besah sie sich ihren Totenschein. Es musste doch einen Grund geben , weshalb sie wieder zurück von den Toten  war.

Ein heißes Gefühl stieg in ihr auf. Sie hatte nicht das geringste Bedürfnis, an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren. Stattdessen fand sie sich vor dem Büro des Weihnachtsmannes wieder. Und da sah sie ihn wieder: Den Drucker, den sie schon im Himmel gesehen hatte. Wahrscheinlich dasselbe Model, vermutete sie. Im Papierschacht lag ein bunt bedruckter Zettel. Mira zog ihn heraus. Er zeigte den Weihnachtsmann mit einer roten Dose,  die er in die Höhe hielt, als wolle er der Betrachterin zuprosten.

Das heiße Gefühl in ihr verstärkte sich und mit einem mal wusste sie, warum sie von den Toten zurückgekehrt war.

Sie würde dafür sorgen, dass ihre harte Arbeit anerkannt wurde. 

Und wenn nicht? Sie umklammerte die Glasscherbe fest.

Na, dann würde Weihnachten wohl dieses Jahr ins Wasser fallen.

Ein Beitrag von Katharina Rauh

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