Das Kalenderblatt
Da dies ein Kalenderblatt ist, könnt ihr es hier downloaden und ausdrucken.
Leider passt nicht die gesamte Geschichte auf die grafische Darstellung, deswegen gibt es diesen Beitrag:
Ankommen
June sah zur Farm hinüber, ein grüner Fleck neben einem hellgrauen Wohncontainer mitten im Grau der zerklüfteten Felstürme. Es war eine dumme Idee, einfach anzuklopfen und nach Arbeit zu fragen. Sie würden sie nicht wollen. Aber alle Ideen, die einigermaßen sinnvoll klangen, waren verraucht. Sie hatte in der Fabrik gearbeitet, im Straßenbau und im Bergwerk. Sie hatte sogar einige Wochen auf der Sozialstation verbracht.
Das Bergwerk war am schlimmsten gewesen, laut, staubig und gefährlich. Sie hatte es keinen Monat dort ausgehalten und ihr Körper schmerzte immer noch an den merkwürdigsten Stellen. Wenn alles, was sinnvoll war, nicht klappte, war es sinnvoll, etwas Unsinniges zu versuchen. Das klang nicht einmal für June sinnvoll.
Das Grün der Farm wirkte wie ein Fremdkörper in all dem Grau und Schwarz. Zwei langgliedrige Agrobots staksten durch die Pflanzenreihen. June konnte nicht sehen, ob sie ernteten oder Pflanzen beschnitten. Sie hatte nicht die geringste Ahnung von Landwirtschaft. Sie war zwar Molekularbiologin, aber die Dinge, mit denen sie sich auskannte, stammten aus einem Leben, das sie hinter sich gelassen hatte, als sie das Schiff zu diesem abgewrackten Planeten bestiegen hatte. Hier ging es um Praxis, nicht um Grundlagenforschung. Und rein praktisch war June eine Niete.
Auf einer Farm wäre sie eine völlige Anfängerin – so wie sie es in der Fabrik gewesen war. Und im Straßenbau. Und im Bergwerk. Trotzdem zog dieser grüne Fleck sie an. Es war eine Oase in der Wüste, eine letzte Hoffnung, zu der sich eine Piste schlängelte, nicht mehr als eine Fahrspur, die sich um formenreiche Felsen wand. June gehörte nicht hierher. In dieser Wüste gab es keine Jahreszeiten. Hier war immer Sommer, das ganze Jahr über, ein endloser heißer Juni, in dem nichts wuchs. Wenn man einmal von den vereinzelten Farmen absah, die es irgendwie schafften, Lebensmittel zu erzeugen. June atmete aus. Wer auch immer dort arbeitete würde sie nicht einstellen. Sie hatte keine Qualifikation. Keine Ahnung. Aber das war jetzt egal. Zurück konnte sie nicht. Sie saß auf diesem Planeten fest, ein Flug war in unerreichbarer Ferne. Sie hätte besser recherchieren sollen, wie es mit Rückflügen aussah, aber dafür war es nun zu spät. Ohnehin hatte es kaum eine Wahl gegeben, nach der Pleite ihres Arbeitgebers. Sie hatte genommen, was ihr angeboten worden war und es war schlechter als erwartet gewesen. Nun musste sie sich hier durchschlagen. June ließ sich vom Felsen gleiten, nahm ihren Rucksack auf und marschierte die Sandpiste entlang.
Es war heiß. June zog sich den Hut tiefer ins Gesicht. Guten Tag, ich bin June Delana und ich würde gern bei Ihnen arbeiten. Nein. Das klang, als habe sie einen Stock im Arsch. Hi, ich bin’s June, können Sie Hilfe gebrauchen? Auch nicht, zu flapsig. Sie bog um die Kurve und wurde unwillkürlich langsamer. Die Fahrspur endete vor der Farm in einem Wendekreis. Es sah nicht so aus, als würde sie oft genutzt. Wahrscheinlich kam hier ein Mal in der Woche ein Versorgungswagen vorbei und das war’s.
Das Haus hinter dem Wendekreis bestand aus zwei Standardmodulen, denen die raue Witterung arg zugesetzt hatte. Der Kunststoff war verblichen, das Firmenlogo kaum noch erkennbar. June bewegte sich im Schneckentempo weiter. Auf der Karte hatte alles so leicht ausgesehen: die Sandpisten, die verstreuten Punkte der Farmen. Sie musste nur hinlaufen und zugreifen. Aber die erste Farm war nicht einmal bewohnt gewesen. Ein vollautomatisiertes Gebilde, zum Glück mit einem Geräteschuppen, in dem sie die Nacht hatte verbringen können. Sie war zurückgelaufen und hatte Glück gehabt, dass an der Hauptroute ein Transportwagen sie eingesammelt hatte.
Das hier sah besser aus: Zwei Standardmodule stellte niemand hin, wenn sie nicht als Unterkunft gebraucht wurden. Aber diese Farm war viel abgelegener. June war mitten in der Pampa ausgestiegen und zwei Tage lang gelaufen. Wenn die Person, die hier wohnte, June wegschickte, hatte sie schlechte Karten. Eine weitere Nacht in der Wüste würde sie nicht überstehen. So heiß es tagsüber war, so kalt wurde es nachts. Hinzu kam, dass ihre Vorräte aufgebraucht waren.
Als sie vor der Tür stand, schlug Junes Herz hart und ihr Mund war trocken. Zögernd klopfte sie. Niemand reagierte. June starrte die Tür an. „Forschungsstation Sigma 15“ hatte jemand ungelenk darauf gepinselt. Wenn das hier eine Forschungsstation war, war June Profiboxerin. Sie ballte die Fäuste, löste sie wieder und klopfte lauter.
Die Tür wurde aufgerissen. „Ja?“
June starrte in das zerfurchte Gesicht einer hageren Frau mit grauer Kurzhaarfrisur. „Ähm“, sagte sie. All ihre zurechtgelegten Sätze waren wie weggeblasen.
„Komm rein.“ Die Frau öffnete die Tür.
Drinnen herrschte ein unbeschreibliches Chaos. Zwischen metallisch schimmernden Apparaten und Schalen mit Pflanzen oder Pflanzenteilen türmten sich stapelweise Bücher. Reste irgendwelcher Substanzen klebten in Reagenzgläsern in glänzenden Gestängen – und in alten Kaffeetassen.
„Bist spät dran!“, sagte die Frau.
„Spät?“
Die Frau musterte sie mit zusammengekniffenen Augen. „Siehst nicht aus wie eine Versorgungsfahrerin.“
June erwiderte den Blick, ohne zu blinzeln. Als Fahrerin hatte sie sich vergeblich beworben. Kein Wunder, sie hatte keinen Führerschein. „Ich suche Arbeit“, sagte sie.
„Wer hat dich geschickt?“
„Niemand. Ich … suche einfach nur Arbeit.“
Die Hagere lachte trocken. „Arbeit gibt es hier mehr als genug. Satt bekomme ich dich auch. Aber wenn du Geld haben willst, muss ich dich enttäuschen.“
„Essen und Arbeit reicht erstmal“, versicherte June.
Die Hagere bedachte sie mit einem prüfenden Blick und legte den Kopf schief.
Dann richtete sie sich auf und streckte die Hand aus. „Fein“, sagte sie. „Ich bin Dorna.“
„June.“ Sie ergriff die Hand und schüttelte sie.
„Hast du etwas gelernt?“
„Molekularbiologin.“
Dorna lachte so heftig, dass sie sich verschluckte.
„Willkommen, Kollegin“, sagte sie, als sie sich beruhigt hatte. „Vielleicht können wir beide was auf die Beine stellen.“ Sie ging zu einem silbernen Tank und zapfte Wasser, reichte June das volle Glas. June trank gierig. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie durstig sie war.
„Räum dir das zweite Bett frei. Es ist irgendwo da drunter.“ Dorna deutete vage in eine Ecke, in der sich Bücher und Gerätschaften stapelten.
June nickte. Ihren Einstieg hatte sie sich anders vorgestellt, in ihren Tagträumen, aber es war ja nicht so, dass sie erwartet wurde. Sie würde nehmen, was sie bekommen konnte.
Eine Geschichte von Jol Rosenberg.