Grafik mit Schnörkeln und Text: Das Kalenderblatt 2021. Eine Kurzgeschichte für den April von Saskia Dreßler
Schicksalsstöcke

Kalender 2021: April

Das Kalenderblatt

Da dies ein Kalenderblatt ist, könnt ihr es hier downloaden und ausdrucken.

Leider passt nicht die gesamte Geschichte auf die grafische Darstellung, deswegen gibt es diesen Beitrag:

Ein Streich zu viel

„Das ist so ungerecht! Einfach gemein!“, rief der April laut in den Wald hinein und stampfte mit seinem Fuß auf. Wie konnten ihn die anderen Monate einfach ausschließen? Und das gerade heute – heute war der Tag, an dem der April endlich das Monatszepter überreicht bekommen würde. Dann konnte er seine ganzen dreißig Tage lang bestimmen, wie das Wetter war und wie sich die Menschen fühlten. An jedem letzten Monatstag trafen sich alle Brüder und feierten zusammen den Beginn einer neuen Herrschaftszeit. Sie saßen am Feuer beisammen und jeder Monat, der an der Macht gewesen war, erzählte lustige Geschichten über seine vergangene Herrschaft. Der April mochte die Zusammenkünfte, denn dort sah er nicht nur seinen Lieblingsbruder Mai, sondern konnte den anderen Monaten Streiche spielen. Streiche waren die Leidenschaft von April – denn wie sagten die Menschen schließlich? Der April macht, was er will.

Bei der letzten Zusammenkunft hatte er unter Novembers Essen ein paar Kirschen gemischt. Hach, war das lustig gewesen als November seine Suppe wieder ausgespuckt hatte. Er hasste Kirschen, seine Leibspeise war Pilzsuppe. Bei den Gedanken an Novembers wütenden Gesichtsausdruck kicherte der April noch ein bisschen. Selbst die Strafpredigten seiner Brüder Dezember und Januar konnten ihn nie von seinen Streichen abhalten. Was wussten die alten Herren schon, was Spaß war? Die Menschen mochten seinen Monat. Im April wurde es richtig Frühling. Der letzte Schnee taute, Blumen blühten, Vögel sangen und auch die Menschen spielten ganz verrückt. Es war seine Leidenschaft, ihre Gefühle noch mehr in Wallung zu bringen, und nach den vielen Jahrhunderten, in welchen April schon seine Arbeit versah, kannte er alle Tricks, um die Menschen noch mehr zu verwirren. Und jedes Jahr heckte er neue Ideen aus, wie er ihnen das Leben noch abwechslungsreicher gestalten konnte. Mal ließ er das Wetter verrückt spielen, mal war es etwas anderes. Meistens versteckte sich der April und beobachtete die Reaktionen auf seine Streiche. Das war sein liebster Zeitvertreib.

Das Grinsen aus dem Gesicht von April verschwand langsam als er darüber nachdachte, dass er dieses Jahr nichts anstellen konnte, wenn er nicht den Monatsstab bekam und den Monatsstab konnte er nur bekommen, wenn…

„Wo sind denn die anderen nur?“, fragte sich der April und sah sich um. Er stand auf einer großen Lichtung, die von Tannen umgeben war. Ein Feuerplatz befand sich in der Mitte und Baumstämme waren als Sitzgelegenheiten um ihn herum angeordnet. Kein Zweifel. Er war hier richtig, denn seit Anbeginn der Zeit trafen sich seine Brüder und er auf dieser Lichtung. „Doch wo sind sie nur?“ Ratlos lief der April im Kreis. Dann legte er seine Hände an den Mund und rief abermals nach allen: „Januar? Februar? März? Mai? Juni? Juli? August? September? Oktober? November? Dezember? Wo seid ihr alle? Ich weiß, dass ihr da seid! Jetzt reicht es aber! Kommt raus. Es ist nicht mehr lustig!“

Nur das Schuhu einer Eule, die er mit seinen Geschrei aufgeweckt hatte, antwortete ihm.

Sie waren nicht da. Hatten die anderen Monate ihn vergessen oder wollte März noch einen Monat länger herrschen? Das konnte nicht sein! So etwas war noch nie vorgekommen. Langsam wurde April nervös. Seine Wut verrauchte und er fragte sich, was passieren würde, wenn niemand heute kam. Was sollte er den restlichen Monat machen? Durfte er nie wieder den Monatsstab halten? Waren seine Brüder etwa so beleidigt, dass sie ihn nun verstießen? Aber er hatte doch nur Spaß gemacht! Jeder seiner Scherze war nicht böse gemeint. Egal, ob er September seine Ähren versteckte oder Juni mit Schnee bewarf – das war doch alles nur ein Scherz gewesen! Hatte er es etwa zu weit getrieben? Aber er war doch der April und es lag in seiner Natur, Streiche zu spielen. Was wäre, wenn seine Brüder ihn nun nie wiedersehen wollten, weil sie ihn nicht lustig fanden?

April setzte sich auf einen der Baumstämme und blinzelte mehrmals. Seine Augen wurden feucht. Was sollte er so allein machen? Er war doch noch nie allein gewesen. Sie waren immer zwölf und die Wintermonate hatten sich um die anderen Monate gekümmert. Plötzlich fühlte sich der April schrecklich einsam. Er schniefte auf und schlang die Arme um sich selbst. Dann schluchzte er leise: „So macht das keinen Spaß. Lieber spiele ich keine Streiche mehr, wenn nur meine Brüder wieder zurückkommen. Ich will nicht allein sein. Vielleicht war alles gar nicht so lustig, wie ich gedacht habe. Es tut mir doch leid – besonders bei Bruder November, dem ich den letzten Streich gespielt habe. Es tut mir wirklich leid!“

„Es wurde auch Zeit, dass du dich entschuldigst, Bruder April“, erklang plötzlich die tiefe Stimme des Novembers hinter ihm. April fuhr herum. Seine Augen wurden groß. Da standen alle seine elf Brüder und lächelten ihn an. November reichte ihm seine behandschuhte Hand und sagte: „Ich nehme deine Entschuldigung an, Bruder. Lass uns nun zusammen den Monatswechsel feiern, ja?“ April schniefte noch ein bisschen und ließ sich von November an seinen Platz am Anfang des Kreises führen. Er durfte schließlich heute neben März sitzen, der den Vorsitz hatte. Oktober und Februar entzündeten das Feuer, das bald hoch loderte.

April beobachtete, wie seine Brüder alles für das Festmahl vorbereiten, und strich sich ab und zu noch verstohlen über die Augen. „Es ist doch schöner, zusammen zu sein als Streiche zu spielen“, überlegte er leise.

„Da hast du Recht und ich werde dich daran erinnern, dass du uns keine Streiche mehr spielen willst“, sagte März, der sich neben ihn setzte.

„Gar keine mehr?“, wollte April schüchtern wissen.

Die anderen Monate lachten nur.

Ein Beitrag von Saskia Dreßler

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