Die Leipziger Buchmesse steht kurz bevor und viele hat das Fieber schon gepackt. Die sozialen Netzwerke sind voll mit Vorfreude! Doch halt, freut sich eigentlich jeder auf die große Buchmesse? Sollte sich jeder darauf freuen? Die Autorin Lisa Brenk zeigt in ihrem Artikel, wie es introvertierten Autor*innen ergehen kann:
Die Leipziger Buchmesse 2019 hat heute angefangen und im Gegensatz zu den letzten beiden Jahren bin ich diesmal nicht mit dabei.
Zum Glück!
Für mich, als introvertierte Autorin mit hochsensibler Wahrnehmung, waren die letzten Messen die reinste Tortur. Ein lautes, überfülltes Messegelände ist genau das Gegenteil meines natürlichen Habitats und ich bin mir sicher, dass es vielen Autor*innen ebenso ergeht. Ich beneide die Leute und Kollegen, die Messezeiten genießen und jetzt mit glänzenden Augen und gepackten Koffern auf die Reise gehen oder schon längst da sind.
Gute Gründe, sich nach Leipzig zu begeben, sind für die meisten schnell gefunden.
1. Verreisen, neue Eindrücke gewinnen und Erfahrungen sammeln.
2. Leser treffen und sich mit ihnen unterhalten.
3. Neue Verlage, Autoren, Blogger kennen lernen und sich vernetzen.
4. Man kann auf der Messe eine Lesung halten und die Bücher signieren.
5. Vorträge hören und sich weiterbilden.
6. Die Konkurrenz im Blick haben und sich inspirieren lassen.
7. Abends eine der vielen Veranstaltungen besuchen und ausgehen.
8. Viele neue Bücher kaufen (bei den kleinen Verlagen) oder wenigstens Werbegeschenke abstauben.
Klingt eigentlich fantastisch! Mit genau dieser Vorstellung bin ich auch die letzten Jahre losgefahren, doch dann kollidierte diese Vorstellung knallhart mit der Realität. Peng! Da lag ich nun, ich zitterndes elendiges Ding. Fühlte mich wie ein Reh, das in den Scheinwerferkegel eines Lasters starrt. Wieso? Schauen wir uns die Punkte, die ich gefunden habe, einmal an und vergleichen sie mit meinem introvertierten Wesen…
1. Verreisen, neue Eindrücke gewinnen und Erfahrungen sammeln.
Ich liebe Reisen. Nach Alaska, nach Norwegen, in die Wälder, ans Meer. Die Ruhe. Die Natur. Die Stille. Hier bin ich zuhause. Doch jetzt geht es nach Leipzig. Autos, Lärm, Menschen, Lichter, Reklamen. Schon bei der Anreise prasseln Eindrücke auf mich ein. Zu viele Eindrücke. Mein Gehirn fühlt sich jetzt schon weichgekocht an. Dann geht es auf das Messegelände. Mein Hals zugeschnürt. Zu viele Bilder. Zu viele Gerüche. Zu viele Menschen. Error. 404. Fehler. Schon in den ersten fünf Minuten schiele ich zu den Notfalltüren. Hoffe, es gibt ein Unwetter, irgendwas das das hier beendet. Das jüngste Gericht? Kann es nicht jetzt kommen?
2. Leser treffen und sich mit ihnen unterhalten.
Ich liebe es mich zu unterhalten. Führe gerne tiefgründige Gespräche, höre zu. Denke lange und ausführlich nach, bevor ich eine Antwort gebe. Am besten in kleinen Runden mit guten Freunden oder Familie. Doch hopsa: Ich in auf der Messe. Smalltalk ist die Devise. Da steht jemand vor mir und will etwas wissen und was mache ich mit meinem matschigem Kopf? Nichts. Kein Wort will aus mir raus kommen. Oder ich stottere, ich mache Ähms, betone Worte vollkommen falsch. Benehme mich wie ein Trottel. Beginne zu schwitzen wie ein Schwein. Alle starren mich an. Gefühlt. Wo war nochmal der Notausgang?
3. Neue Verlage, Autoren, Blogger kennen lernen und sich vernetzen.
Ich mache mir gerne Pläne. Spinne ein Netz aus Sicherheit um mich herum. Ich durchdenke alles bis ins Detail und darüber hinaus. Ich bin ein Kopfmensch … ich kann das online. Manchmal. Jetzt stehe ich in einer Halle in der es zu wenig Sauerstoff gibt, Menschenmassen rempeln mich an und schieben mich herum. Da, ein interessanter Verlag. Ich sollte mich vorstellen. Die Luft wird dünner. Mein Herz rast. Nun los, einfach mal offen und spontan sein. Das Netz verlassen … Hahaha. Ich greife mir „spontan“ einen Werbeflyer und tauche unter. Wahrscheinlich werde ich aus schlechtem Gewissen später ein paar Bücher von ihnen kaufen.
Kontakte, die ich nach zwei Jahren Messe gemacht habe = 0.
4. Man kann auf der Messe eine Lesung halten und die Bücher signieren.
Ich kann gut vorlesen. Mir selbst. Meinem Freund. Kein Problem. Doch dann Tag x auf der Messe. Bauchschmerzen schon am Morgen. Error. Error. Error. Plötzlich bin ich da. Bühne. Mikrofon. Augen. Error. Error. Error. Ich lese. Error. Schon bin ich von der Bühne runter. Mein Kopf funktioniert nicht mehr. Ich brauche jetzt Stille und Ruhe, um mich aufzuladen. Die Toiletten? Überfüllt. Die Flure? Überfüllt! Flucht zum Parkplatz ins Auto. Meine Konzentration will sich nicht wieder auffüllen. Gleich noch Bücher signieren. Und mit Sicherheit kommen Leute die Stapphan, Anuliese und Hildde heißen. Mit den merkwürdigsten Buchstabenkombinationen. Angstschweiß in den Augen ist da auch nicht hilfreich.
5. Vorträge hören und sich weiterbilden.
Ich bin wissensdurstig. Ich reflektiere, ich lese, ich wachse. Ich brauche neues für meinen Kopf. Doch ich bin in Leipzig. Mein Gehirn zerkocht wie eine Tomate. Alles was ich höre, landet sofort im See des Vergessens. Was mache ich noch hier? Wie war eigentlich mein Name? Was ich bin erst 30 Minuten hier?
6. Die Konkurrenz im Blick haben und sich inspirieren lassen.
Ich bin eine gute Beobachterin. Das liegt Introvertierten im Blut. Beobachten. Zusammenhänge erkennen. Mein Ding. Eigentlich. Aber auf einer Messe bin ich blind. Zu viele Bücher um mich herum, sie schmelzen zusammen zu einem klumpen Wörterbrei. Menschen? Sehen alle gleich aus. Grelle Schemen. Menschenbrei. Konkurrenzbrei. Inspirationsbrei. Allesbrei. Hab ich schon mal erwähnt, dass Menschenmassen meinen Kopf zu Brei verwandeln?
7. Viele neue Bücher kaufen oder wenigstens Werbegeschenke abstauben.
Ich bin mittlerweile ein Zombie. Dort gibt es gratis Schokolade. Ich will Schokolade. Aber dazu muss ich den netten Typen am Stand ansprechen. Ich kann nur noch sabbern. Die Leute machen einen Bogen um mich. Mein Gesicht eine Grimasse vom falschen Lächeln. Brauchbare Goodies und Bücher, die ich in zwei Jahren erbeutet habe: 1 Buch und ich kann mich nicht mehr erinnern, wie das passiert ist.
8. Abends eine der vielen Veranstaltungen besuchen und ausgehen.
Der perfekte Abend für mich. Ein gutes Buch. Netflix, Lagerfeuer, früh ins Bett gehen, vielleicht ein Brettspiel spielen. Veranstaltungen? Ausgehen? Ich? In einer Großstadt? Hahahahaha. Error.
Heute sitze ich mit einer Kanne grünem Tee, Schokolade, meinen Texten und Büchern an meinem Schreibtisch und fühle mich wohl. Natürlich bin ich auf der Skala zwischen extrovertiert und introvertiert ziemlich das äußere Ende und andere Intros haben vielleicht Techniken gefunden, wie sie damit umgehen können. Teilt mir euer Geheimnis mit!
Ich freu mich davon zu hören und vielleicht sieht man mich ja doch nochmal auf einer Messe … in Rüstung und mit Maske. Oder in Raumanzug, während ich mich durch die Atmosphäre eines für mich fremden Planeten schlage.
Eure,
Lisa
Liebe Lisa – ich fahr das erste Mal nach Leipzig und frag mal meine Umgebung, wie sehr ich mich freue! Äh – naja… Ich freu mich allerdings ehrlich, ein paar Menschen zu treffen, die ich sonst nur per Facebook kontaktiere. Ich will unbedingt das Nornennetz kennenlernen. Und ich würde wahnsinnig gerne eine Lesung halten (und dabei vor Aufregung sterben, aber egal), dabei hab ich nicht mal ein Plätzchen, wo ich mein Buch präsentieren kann. Also komm zur Messe, wir hocken uns in die Hecke und sagen gar nichts! Liebe Grüße Angela Rose Burkart
Liebe Lisa, ich bin ja heilfroh… Nicht dass es dir so geht, sondern dass es jemandem haargenau so geht, wie mir. Wenn man das Netz so durchforstet, findet man fast nur so taffe Autoren und Autorinnen. Da habe ich manchmal das Gefühl, dass ich Defizite habe. Stimmt vielleicht, aber die haben nichts mit dem Schreiben zutun und das ist ja wohl das wichtigste für eine Autorin, oder? Würde man versuchen, sich zu ändern, ginge viel vom eigenen Ich verloren. Und das fehlt dann beim Schreiben. Außerdem fühle ich mich einfach nicht wohl, wenn ich mich zu etwas zwingen soll. Also… Weiterlesen »