Goldene Schreibfeder, die eine Reihe Sterne hinter sich her zieht
Schicksalsstöcke

Vorurteile gegenüber Autoren von Grumpy Moon

Ein paar Jährchen ist es schon her, aber vergessen werde ich** es nie, dieses Picknick im Freien, bei dem meine Freunde und ich ein Spiel spielten, dessen Name mir nicht mehr einfallen will; es ging darum, sich gegenseitig einzuschätzen, und als ich an der Reihe war, stand die Frage im Raum, wie gerne (auf einer Skala von 1 bis 10) ich wohl Zeit in einer Bibliothek verbringen würde. Mein damals noch neuester Bekannter, der so gut wie nichts über mich wusste, außer dass ich gerne Bücher schreibe, meinte sofort, das wäre der ideale Ort für mich, weil ich doch so gerne lese. »Luna hasst Lesen«, kam es darauf wie aus der Pistole geschossen von meiner damaligen besten Freundin, und plötzlich beherrschte eine peinliche – wenn auch etwas amüsante – Stille die Runde.

Schreiben in den Sommerferien – geht das mit Kindern überhaupt (Foto: Eva-Maria Obermann)

Dass ich Lesen hasse, halte ich für ein böses Gerücht, aber zumindest zur damaligen Zeit steckte durchaus ein Funken Wahrheit in der Aussage meiner Freundin, die mich besser kannte als jeder andere, und ich kann sehr gut nachvollziehen, wie sie darauf gekommen ist: Es stimmt, dass ich mich während meiner Studienzeit für das Lesen nicht besonders begeistern konnte, was in erster Linie an den vielen langen, oft unverständlichen und meistens langweiligen wissenschaftlichen Texten lag, die ich damals für die Uni lesen musste. Wenn man etwas lesen muss, dann macht es gleich viel weniger Spaß, erst recht, wenn es sich um ein Thema handelt, mit dem man sich unter anderen Umständen nie freiwillig beschäftigt hätte. Und wenn ich es dann nach ein paar mühsamen Stunden endlich durch hatte, stand mir der Sinn eher nach Entspannung in Form eines Videospiels oder eines gemütlichen Abends vor dem Fernseher, als nach noch mehr Lektüre.

Hier bin ich also, die Schreiberin, die angeblich nicht gerne liest.

Die Wahrheit sieht ganz anders aus: Mich in einem Buch richtig zu verlieren, so dass ich es gar nicht mehr aus der Hand legen möchte, eins mit der Handlung zu werden und die Charaktere derart ins Herz zu schließen, dass ich mir noch über die letzte Seite hinaus Gedanken um ihr Schicksal mache – das ist eines der schönsten Gefühle, die ich kenne. Zugegeben, es passiert mir nicht oft, da ich nun einmal sehr wählerisch bin und meine Freizeit gerade während des Studiums aus den oben genannten Gründen lieber anders verbracht habe, aber hin und wieder hatte ich doch das Glück, solche Bücher in der Hand zu halten. Trotzdem hält sich das hartnäckige Gerücht, ich würde das Lesen hassen, und das konnte genau genommen nur aufgrund eines anderen Gerüchtes entstehen:

Dass jeder, der gerne schreibt, auch eine richtige Leseratte sein muss.

Egal, ob eigene Freunde, Freunde von Freunden, nächste Familie oder entfernte Internet-Bekanntschaften: Erzähle ihnen, dass du Autorin bist, und so mancher möchte sofort mit dir über jedes Buch reden, das er je gelesen hat, ungeachtet des Genres und ohne dich zu fragen, ob du überhaupt gerne liest, denn das »weiß« er allein aufgrund der Tatsache, dass du schreibst. Aus diesem Grund hat mir eine Verwandte auch einmal zum Geburtstag ein willkürliches Buch geschenkt, einen historischen Roman von über tausend Seiten, der noch dazu der zweite Teil einer Reihe war, deren ersten Teil ich damals schon nicht kannte und bis heute nicht gelesen habe, denn ich mag historische Romane nicht einmal. Etwas, das meine Verwandte sicherlich gewusst hätte, wenn sie mich einfach nur gefragt hätte, statt davon auszugehen, dass ich mich als Autorin für jedes Buch der Welt interessiere.

Ich habe durch das Lesen von Büchern schon sehr viel an Wissen und Erfahrung gewonnen, neue Sichtweisen kennen gelernt, Ideen und Inspirationen gesammelt, und auch die eine oder andere stilistische Todsünde entdeckt, die ich in meinen eigenen Büchern seither unbedingt meide. Trotzdem identifiziere ich mich in erster Linie nicht als Leserin, denn es gibt noch etwas anderes, das ich lieber tue als Lesen, und das ist Schreiben. Das wiederum heißt allerdings nicht, dass ich Lesen hasse, eine simple Tatsache, die so mancher einfach nicht verstehen will.

Auch das Schreiben bringt mir nicht immer nur Spaß –

eine weitere Lektion, die ich vor allem in der Uni gelernt habe, denn wissenschaftliche Hausarbeiten sind nun einmal nicht dasselbe wie Romane. Und hier kommt ein weiteres Vorurteil ins Spiel, mit dem ich mich schon herumschlage, seit ich erstmals angefangen habe, mir über meine berufliche Zukunft Gedanken zu machen: dass Schreiben gleich Schreiben sei. »Warum wirst du nicht Journalistin?«, lautet eine häufige Frage von Menschen, denen ich erzähle, dass Romanautorin nun mal kein gewöhnlicher Bürojob ist und die meisten nebenbei noch etwas anderes machen müssen, um ein geregeltes Einkommen zu haben. »Du schreibst doch so gerne!«, heißt es weiter.

Wir lieben das Schreiben – aber immer? (Grafik: Elenor Avelle)

Der grundlegende Gedanke hierbei ist natürlich nicht falsch, denn zum Schreiben eines Romans gehört mehr als nur eine rege Fantasie; man sollte, wenn möglich, etwas von der Sprache verstehen, in der man sich ausdrückt, sowohl in stilistischer als auch grammatikalischer und orthografischer Hinsicht. Dies gilt für journalistische und wissenschaftliche Artikel ebenso wie für Texte über frei erfundene Sachverhalte. Aber genau hier wird es kritisch: Ich bleibe beim Schreiben nun einmal gerne in meiner eigenen Welt, erfinde lieber Figuren und Handlungen und bestimme selbst darüber, wie sich die Dinge fügen, als darüber zu berichten, wie dies in der wirklichen Welt geschieht. Das heißt natürlich nicht, dass ich nicht theoretisch eine gute Journalistin sein könnte, wenn ich wollte – ich will nur nicht, und es erstaunt mich jedes Mal, wenn das als Widerspruch zum Rest meiner Person betrachtet wird. Man geht schließlich auch nicht zu einem Punk-Rocker und bittet ihn, etwas Frommes in der Kirche zu spielen, nur weil beides mit Musik zu tun hat.

Was ich mit all dieser besserwisserischen Fachsimpelei eigentlich sagen will, ist, dass Autoren unterm Strich auch nur ganz normale Menschen mit ganz normalen individuellen Vorlieben, Stärken und Schwächen sind. Das sieht man schon, wenn man sich das Angebot an Romanen ansieht: Es gibt unzählig viele Genres und keinen einzelnen Autor, der sie alle gleich gut beherrscht. Also bitte, liebe Nicht-Autoren, erschreckt nicht, wenn ein Schriftsteller euch das nächste Mal gesteht, dass er in den letzten zwei Wochen keine Bücher gelesen hat, keine Karriere als Journalist anstrebt, oder eine beliebige andere Erwartung nicht erfüllt. Denn das Einzige, was wohl die meisten von uns gemeinsam haben, ist, dass wir keine Vorurteile mögen.

** Autorin des Beitrags ist Grumpy Moon.

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