Schicksalsstöcke

Literarische Weltreise zum Frauenwahlrecht – Hedwig Dohm (Deutschland)

Am heutigen Tag beginnt unsere literarische Weltreise zum Jahrestag des Frauenwahlrechts. Heute vor 101 Jahren haben Frauen in Deutschland das erste Mal gewählt.

Wann entschieden wurde, dass auch Frauen in Deutschland wählen dürfen, hat euch Claudi Feldhaus in ihrem Beitrag am 12. November erzählt, dem Tag, an dem die Entscheidung zu Gunsten des Frauenwahlrechts verkündet wurde.

Doch wir wollten mehr wissen und haben uns auf eine Expedition quer durch alle Länder der Welt begeben, um herauszufinden, wie es mit dem Frauenwahlrecht dort steht.

Dabei sind unzählige Beiträge herausgekommen, die wir gar nicht alle in einer einzigen Reise unterbringen können.

Vom 19. Januar bis zum 08. März, dem Weltfrauentag, präsentieren wir euch immer Montags, Dienstags und Donnerstags ab 11 Uhr individuelle Artikel unserer Nornen über Länder, deren Frauenwahlrecht und eine ansässige Schriftstellerin.

Unser Reiseplan:

Eine weiße Weltkarte mit dreiundzwanzig goldenen Flecken in der Position der aufgeführten Länder. Ein roter Pfeil führt jeweils von Land zu Land.
  1. Deutschland (Der Beitag folgt in diesem Artikel)
  2. Dänemark ab dem 20.01.2020 verfügbar
  3. England ab dem 21.01.2020 verfügbar
  4. Frankreich ab dem 23.01.2020 verfügbar
  5. Österreich ab dem 27.01.2020 verfügbar
  6. Polen ab dem 28.01.2020 verfügbar
  7. Ungarn ab dem 30.01.2020 verfügbar
  8. Libanon ab dem 03.02.2020 verfügbar
  9. Ägypten ab dem 04.02.2020 verfügbar
  10. Ghana ab dem 06.02.2020 verfügbar
  11. Kenia ab dem 10.02.2020 verfügbar
  12. Vereinigte Arabische Emirate ab dem 11.02.2020 verfügbar
  13. Irak (Kurdistan) ab dem 13.02.2020 verfügbar
  14. Iran ab dem 17.02.2020 verfügbar
  15. China ab dem 18.02.2020 verfügbar
  16. Japan ab dem 20.02.2020 verfügbar
  17. Australien ab dem 24.02.2020 verfügbar
  18. Neuseeland ab dem 25.02.2020 verfügbar
  19. Argentinien ab dem 27.02.2020 verfügbar
  20. Peru ab dem 02.03.2020 verfügbar
  21. USA ab dem 03.03.2020 verfügbar
  22. Bermuda ab dem 05.03.2020 verfügbar
  23. Island ab dem 08.03.2020 verfügbar
Eine weiße Weltkarte mit einem goldenen Fleck in der Position von Deutschland.

Die Reise beginnt: Hedwig Dohm

Hedwig Dohm wurde am 20. September 1831 in Berlin geboren. Zeit ihres Lebens machte sie sich für das Frauenwahlrecht stark, sie veröffentlichte zahlreiche feministische Schriften und fast 100 gesellschafts- und politkritische Artikel in Zeitungen und Zeitschriften. Hedwig Dohm verstarb am 1. Juni 1919. Für den Auftakt unserer Weltreise habe ich sie im Jahr 1874 besucht und zu ihrem soeben erschienen Werk „Die wissenschaftliche Emancipation der Frau“, erschienen bei Wedekind & Schwieger in Berlin, interviewt. (Achtung: Dohm spricht das Deutsch von ~1870!)

Frau Dohm, in ihrem Werk „Die wissenschaftliche Emancipation der Frau“ sprechen Sie von einem Lohngefälle der Geschlechter, das wir unter der sogenannten „Gender Pay Gap“ kennen. Was glauben Sie ist der Grund?

Dohm: Die Durchschnittsziffer des Arbeitslohnes in Paris beträgt für Männer 4 Fr 41; für Frauen 2 Fr. 41. Der Hauptgrund ihrer Inferiorität liegt in ihrer mangelhaften professionellen Ausbildung.

(Seite 16, Zeile 6-9)


Sie sagen also, Frauen werden schlechter bezahlt, weil sie schlechter ausgebildet sind?

Dohm: Die Frauen werden zur Abhängigkeit erzogen; ob sich aber in der Noth des Lebens Jemand findet, von dem sie abhängen, darum bekümmert man sich nicht!

(Seite 23, Zeile 18-21)


Was denken sie, müsste geändert werden, um das Gender Pay Gap aufzulösen?

Dohm: Ich verstehe von Staatswesen und Politik nicht allzu viel, das aber weiß ich: jegliche Gesetzgebung muß, oder müsste, auf einer sittlichen Basis ruhen, auf der Basis der Gerechtigkeit und Menschenliebe. Versagt Sitte und Gesetz den Frauen diejenige Arbeit, die sie in den Stand setzt, sich und ihre Kinder zu ernähren, so muß der Staat und die Gesellschaft nach den einfachsten Begriffen der Menschlichkeit und Gerechtigkeit vermögenslose Wittwen und Unverheirathete standesgemäß erhalten. Erkennt er aber eine solche Verpflichtung nicht an und beschränkt er dennoch die Frauen auf ein kleines Gebiet unzureichender Arbeit, so zeigt eine solche Gesetzgebung Spuren von Barbarei, sie vergewaltigt die Frau und privilegiert die eine Hälfte der menschlichen Gesellschaft auf Kosten der andern.

(Seite 24, Zeile 16 – Seite 25, Zeile 6)


Haben Sie sich deshalb so vehement für das Frauenwahlrecht eingesetzt? Wie ging es Ihnen dabei?

Dohm: In Deutschland für die politischen Rechte der Frauen zu kämpfen, mag vorläufig eine Thorheit, eine radikale Anticipation der Zukunft sein. Neue Gedankensaaten, in einen Boden gestreut, der nicht vorbereitet ist, sie zu empfangen, tragen keine Frucht, und wer die Früchte seines Strebens und Kämpfens erndten will, der befolge den Grundsatz praktischer Leute: nur das Erreichbare zu wünschen. Für die Anhänger des Frauen-Stimmrechts mag die Erkenntniß ein Trost sein, daß diejenigen Reformen, diejenigen socialen Umgestaltungen, welche die eine Generation mit Widerwillen von sich stößt, oft schon die nächste mit Begeisterung willkommen heißt.

(Einleitung, Zeile 1-13)


Sie mussten sich für Ihre Veröffentlichungen harter Kritik stellen, laut eines Artikels im „Leipziger Tageblatt“ handelt es sich um einen „Eklat einer Berliner Pamphletistin“. Wie gehen Sie mit solcher Art Kritik um?

Dohm: Sitte und Tradition heißt die dämonische Kraft, die seit Jahrtausenden schon die Frau in jenen engen Kreis bannt, den heut erst die Muthigsten zu überschreiten wagen. Die Gewohnheit oder die Tradition ist ein Vampyr, der an der Brust der Menschheit ruht und ihr das beste Lebensblut fortsaugt. Ihr zaubergewaltiger Bann ist ein narkotisches Gift, dem selbst die freiesten Geister erliegen.

Was ist öffentliche Meinung? Wer fabricirt sie? – Die Menge, die Majorität, die Mittelmäßigkeit. Und hätte es nicht in jedem Zeitalter kühne Geister gegeben, die sich losgerungen von dem Despotismus der Tradition und neue Adern des Denkens geöffnet, wir würden heute noch in den Pfahlbauten hausen.

(Seite 39, Zeile 6-20)


Frau Dohm, ich danke für das Gespräch.

Autorin: Melanie Henning

Der nächste Beitrag führt uns ab dem 20.01.2020 nach Dänemark.

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