Schicksalsstöcke

Kalender 2021: Januar

Das Kalenderblatt

Da dies ein Kalender ist, könnt ihr euch das Kalenderblatt hier downloaden und ausdrucken.

Leider passt nicht die gesamte Geschichte auf die grafische Darstellung, deswegen gibt es diesen Beitrag:

Januar

Dass man nach einer wilden Nacht mit nur einem Schuh aufwacht – geschenkt. Aber wie kann man bloß vor Mitternacht von einer Party verschwinden? Habe ich noch nie kapiert. Da geht doch der Spaß erst richtig los!

Deswegen sitze ich auch noch hier in den Startlöchern. Beziehungsweise in einem Startloch. Es geht eben nichts über einen gut geplanten Auftritt. Dafür muss man auch mal Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen. 

Wie jetzt. Ich habe nur diese eine Chance. 

Der Raum ist klein und kalt und dunkel, und außer einem Schemel gibt es hier nicht viel. Womöglich bilde ich mir sogar ein, den Raureif an den Wänden erkennen zu können. Mein Atem bildet warme Wölkchen vor meinem Gesicht. Unter normalen Umständen würde ich frieren, aber ich bin viel zu nervös, perfekt herausgeputzt und auf alles vorbereitet.

Vor der Tür höre ich den Trubel zunehmen. Mein Vorgänger hat keine gute Show abgeliefert. Um Mitternacht wird er die Bühne räumen,und niemand wird ihn vermissen. Wahrscheinlich sieht er ziemlich zerrupft aus. Wenigstens stelle ich ihn mir so vor. Teil des Deals ist, dass wir einander nie begegnen. Aber ich weiß alles über ihn. Keine herausragende Leistung, die Performance. Feiern die da draußen vielleicht nicht, dass ich komme, sondern dass er geht? Eine furchtbare Vorstellung. Sie spornt mich zu Plänen für Höchstleistungen an.

Irgendwo geht vor der Tür ein Glas zu Bruch. Soll ja Glück bringen. Bald ist es soweit. Zittern meine Finger etwa? Schnell setze ich mich auf sie, atme tief durch und übe mein strahlendstes Lächeln. Der Raum wird noch etwas kälter. Die Dunkelheit verdichtet sich. Ich habe zwölf Monate Zeit.

Der Jubel der Feiernden wird zu einem aufgeregten Summen. Die Zeit selbst hält den Atem an.

Zehn.

Neun.

Acht.

Mein Herz poltert vor Aufregung gegen meine Rippen.

Sieben.

Sechs.

Ich stehe auf.

Fünf.

Vier.

Rücken gerade, Schultern zurück.

Drei!

Ganz in der Nähe öffnet sich knarzend eine andere Tür. Ich höre müde Schritte, nur ganz kurz. Mein Vorgänger ist fort.

Zwei!

Hand auf der Türklinke.

Eins!

Ich platze in den Festsaal hinaus. Niemand beachtet mich. Hunderte eingefrorene Gesichter sind Richtung Himmel gedreht. Funkenblumen erblühen am Nachthimmel.

Ich habe zwölf Monate.

Die Party kann starten.

“Frohes neues Jahr, ihr Lutscher!”

Ein Beitrag von Diandra

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