Schicksalsstöcke

Türchen 17: Alles für den Glauben (Britta Redweik)

Jedes Mal, wenn ihr Handy klingelte, stöhnte sie genervt auf. Sie konnte es nicht fassen, dass er sie schon wieder anrief.

“Was ist es dieses Mal?”, bellte sie regelrecht ins Telefon.

“10 Jahre, Mädchen, wohnt in Asien.”

“Kein Brief?”, fragte sie, dabei wusste sie es besser. Er rief nur an, wenn es keinen Brief gab.

“Nein. Ihre Familie feiert kein Weihnachten.”

Sie seufzte schwer. “Warum willst du ihr dann überhaupt etwas bringen, du alter Zausel?”

“Weil doch jedes Kind ein schönes Weihnachtsfest verdient.”

Seine tiefe Stimme klang ehrlich. Und doch zweifelte sie an seiner Motivation. Das hatte ihn in den letzten Jahrhunderten schließlich auch nie interessiert. Damals brachte er nicht einmal jedem, der Weihnachten feierte, auch etwas. Oft nur denen, die eh schon alles hatten.

Nein, das lag an einer dieser neumodischen Erfindungen. Am Internet! Glaube, das Lebenselixier aller Wesen wie ihm und ihr, war heute sprunghafter denn je. So viele Unwahrheiten, neue Religionen und kultischen Sekten, die einen Gott, eine Mode oder einen Prominenten anbeteten, kamen auf und vergingen, lenkten den verfügbaren Glauben auf immer neue Dinge. Sie mussten sich alle Einiges einfallen lassen, um nicht in Vergessenheit zu geraten.

Jack Frost und einige seiner Verwandten waren schon verschwunden, weil zu wenige noch an sie glaubten. Mit verheerenden Folgen. Die Menschen nannten es nur Klimaerwärmung, dabei war es die reinste Glaubenskrise. Ein menschgemachtes Aussterben nicht nur von Tieren und Pflanzen, sondern auch von Naturgeistern, guten Feen und all den anderen, die die Welt seit ihrer Entstehung im Gleichgewicht gehalten hatten.

“Du willst nur, dass deine Geschenke viral gehen”, stellte  sie fest. “Du willst dir so Glauben abschöpfen.”

Ein Seufzen war am anderen Ende der Leitung zu hören. “Komm schon, Zahnfee. Du hast mehr echten Kontakt mit Kindern, als ich. Und wenn sie an mich glauben, kann das uns allen nützen.”

Da war was Wahres dran. “Du weißt aber schon, dass ich auch nur ihre Zimmer sehe und nie ein Wort mit ihnen wechsle?”

“Womit du immer noch mehr von denen weißt, die mir keine Wunschzettel schicken, als ich. In meinem Buch steht nur, welches Kind artig war. Nicht, woran es interessiert ist oder was ihm Freude bereitet.”

Die Zahnfee gab nach. “Na schön. Schick mir die Adresse und ich schau in meinen Notizen nach, ob ich was über die Kleine weiß.” Damit legte sie auf und rieb sich die schmerzende Stirn. Jetzt hatte der Alte sie ja doch wieder eingewickelt. Das würde wieder ein anstrengendes Weihnachten werden .

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